Von Jürgen Stark
Der Begriff „kosmopolitisch“ ist offensichtlich aus der Mode gekommen. Das ist kein Wunder. Durch Sonja Schmitz wird vieles erkennbar, was im Schatten liegt. Es liegt an ihrer Biografie und ihrer Sehnsucht nach Erklärungen, die sie in der Musik sucht und findet. Das ist Kunst. Die bosnisch-slowenische Sängerin, Texterin, Komponistin und Musikproduzentin wurde ungewollt Chronistin eines unruhigen Zeitalters.
Das erklärt auch ihre sowohl feinen als auch kritischen Botschaften, die meilenweit von der derzeit dominierenden Beliebigkeit in der Popkultur entfernt liegen. Sie hatte Glück, inmitten von blutigem Bürgerkrieg und Auflösung des sowjetischen Geisterreichs, von dem sich das Ex-Jugoslawien im Zerfall abkoppelte. Ihre Mutter meldete sie noch als kleines Kind bei der Musikschule in Tuzla an. Sie begann Klavier zu spielen, doch die Ausbildung wurde von eben diesem Bosnienkrieg jäh unterbrochen. Purer Horror: Die Soldaten wurden eingekesselt, im eingeschlossenen und beschossenen Tuzla lagen Leichen in den Straßen und verwundete Freunde kamen zur Familie.
„All das band mich noch enger an Klavier und Noten“, erinnert sie sich heute. Sie spielte gegen Tod und Teufel – nichtsahnend, dass sie dadurch auch ein strahlender Prototyp eines dringend benötigten neuen „Kosmopolitismus“ werden sollte. Zum Verständnis: Der Kosmopolit meint den aufgeklärten, freien und souveränen Weltbürger, nicht „Die Internationale“ des sozialistischen Kollektivs. Denn für Kommunisten ist dieser Begriff ein Schimpfwort. Singen auf den Trümmern Jugoslawiens: Schon kurz nach Kriegsende nahm Sonja an internationalen Klavier-Wettbewerben mit zahlreichen Auszeichnungen teil. Die teils imaginäre Weltreise begann.
Nach der Musikhochschule studierte Sonja Schmitz Management mit Schwerpunkt Human Resources beim Rochester Institute of Technology, gleichzeitig sang sie Contemporary Jazz und schrieb erste eigene Songs. 2010 veröffentlichte Sonja ihre Lieder: “Poslije tebe”, “Na tuđem jastuku” und “Snaga”, einschließlich eines romantischen Musikvideos für “Poslije tebe”. 2013 zog Sonja dann nach Deutschland, gründete das Gitarren-Vokal-Duo „True Colors“ und trat mit Pop- und Jazz-Cover-Songs auf. 2017 gründete sie mit ihrem Partner Dirk Schmitz „schmitzi productions“ und veröffentlichte unter dem Namen Sonja James „On The Right Side“, „Thank You Germany“, „Life Keeps Going“ und „Destiny“.
Es wurde immer internationaler. 2019 folgte „Broken“ in Kooperation mit dem schwedischen Produktionshaus Tempo Digital. Noch im gleichen Jahr richtete Sonja ihr eigenes Musikstudio ein und veröffentlichte mit „Fire“ den ersten Song aus komplett eigener Produktion. „Fire“ erreichte ein internationales Publikum mit über einer Million Zugriffe auf YouTube. Dann kam Corona.
Sonja konnte ihr Kehler Studio kaum verlassen, fatale Erinnerungen kamen hoch. Das Video für „No More Corona“ entstand, entwickelt mit internationalen Profis, wo sich Sonja Schmitz inzwischen einen Namen gemacht hatte. Gleich an drei europäischen Standorten wurde gedreht.
Singen gegen Corona-Knast. Ein Hilferuf. Sonjas Part wurde in Baden-Baden aufgenommen, andere Teile in Wien und Sarajevo. Die Drehorte auch als Zeichen gegen die Re-Nationalisierung (!) von Kunst. „Das Video sympathisiert und fühlt mit allen Menschen, die gestorben – und im viel größerem Maße – am Körper oder an der Seele erkrankt sind“, gab sie zu Protokoll. Der Kampf der Sängerin gegen das Eingesperrtsein, gegen jede Art von Bevormundung und staatliche „Käfighaltung“ unter zu viel Obrigkeit, brachte viel Aufmerksamkeit. Musikalische Botschaften ohne politische Allüren.
Inzwischen hat Sonja Schmitz für einige Aufreger gesorgt, Songs gegen übergriffige Manager, welche Frauen immer noch zuerst als Objekte betrachten. Herausragend ihr Lied „Thank you Germany – Danke Deutschland“, ein Appell an alle Flüchtlinge und Migranten, sich gegenüber dem Gastland und möglichen neuen Lebensort dankbar für die Aufnahme und die Hilfen zu zeigen. Ein Song gegen einseitige Schuld und falsche Blickwinkel. Gesungener humanistischer Kosmopolitismus, der hierzulande bezeichnenderweise überall aneckt.
Neue Lieder, neues Glück. „Again – Live in Vienna„steht nun schon seit ein paar Tagen online und „Gilded Butterflies“ wurde von Sonja Schmitz am heutigen Sonntag extra für das Ortenau Journal nun auch auf Youtube veröffentlicht. Danke, Sonja!
Es folgt gleich das Gespräch mit der Künstlerin, mit der ich als Gitarrist in Baden-Baden vor einiger Zeit „Summertime“ bei einem Musikprojekt für Jugendliche gespielt habe. Der Gershwin-Klassiker ist für die Musikerin Sinnbild einer Weltkultur gelebter Freiheit: „Summertime lässt sich mit jedem Stil, in tausend Variationen und überall spielen. Das war auch bei uns in Bosnien ein beliebtes Lied. Man spürt die Leichtigkeit des Seins darin…“ – das ist der Kosmos der Musik.
Das Interview:
Ortenau Journal: Zuerst noch einmal zurück zu deinem Song „Thank You Germany“ aus dem Jahre 2016. Das Lied war autobiografisch und gleichzeitig ein Appell an alle Migranten – immer noch aktuell oder sogar noch aktueller?
Sonja Schmitz: Zwischenzeitlich sind schon ein paar Jährchen seit dem Lied vergangen. Für mich fühlt sich das an wie eine Ewigkeit. Allerdings stehe ich hinter jedem Wort, dass ich damals gesungen habe. Ich habe viele Lieder geschrieben, die nicht autobiografisch waren. Dieses Lied kam aber wirklich aus dem Herzen. Es war für mich kein politisches Statement. Wenn mich jemand oder eine Gemeinschaft als Gast aufnimmt, muss ich mich anpassen, mich – wie in meiner bosnischen Heimat – auch für die Gastfreundlichkeit bedanken. Das ist doch basic culture – oder? Das darf für ein gutes Zusammenleben nie aus der Mode kommen. Das ist mehr als ein Lied – das ist mein Statement.
Ortenau Journal: Du hast über ein Jahr lang an einem Album gearbeitet, jetzt wirst du Song für Song auf YouTube veröffentlichen. Was sind die Inhalte, welche Themen beschäftigen dich? Was bietet der Song, den du jetzt erstmals auf YouTube veröffentlichst?
Sonja Schmitz: Ich habe fünf Jahre an meinem Album gearbeitet. Die Lieder habe ich über ein längeres Zeitfenster geschrieben und mich gleichzeitig nicht nur als Sängerin, sondern auch als Autorin und Produzentin weiterentwickelt. Ich habe mir kurz vor der Corona-Zeit zu Hause ein Musikstudio aufgebaut und meine Stimme und alle Lieder-Demos aufgenommen. Deswegen konnte ich trotz Maskenpflichten und bestehender Kontaktverbote meine Musik weiter machen. Das hat mir viel gegeben in der Quarantäne-Zeit. Hauptthema des Albums ist die seelische Entwicklung, unsere Freiheit und worauf es im Leben wirklich ankommt. Ich habe versucht, an der Alltagsoberfläche zu kratzen. Themen, die für mich substantiell sind: Freiheit und mich selbst akzeptieren, Liebe mit Höhen und Tiefen, Alltagskämpfe, Schmerz und Kampf um echte und ehrliche Anerkennung. Ich habe auch „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke vertont. Seine Wörter können für mich am besten das seelische Gefängnis beschreiben, in dem sich heute immer mehr Menschen befinden. Wir sind im vernetzten Zeitalter zu sehr auf Illusion, reine Oberfläche, auf Scheinwirkung konzentriert. Fast, als ob wir in einer Matrix leben. Wir setzen uns halb freiwillig in ein virtuell-akustisches Gefängnis. Schönheit, Liebe, Freiheit, Reichtum werden mit KI-bearbeiteten Moment-Fotos gemessen. Die Realität spüren wir jeden Morgen in unseren Knochen, in unserem Schmerz, unserem Widerwillen, wenn wir aufwachen. Das erste veröffentliche Lied war „Again“, das zweite ist „Gilded Butterflies“. Das ist ist auch der Name des Albums. Es kommt von Shakespeare – “We will all laugh at the gilded butterflies”: „Wir werden alle über die vergoldeten Schmetterlinge lachen“. Die einfachste Erklärung ist: Vergoldete Schmetterlinge können nicht fliegen. Wir alle wollen jeden Tag mehr vergoldet werden. Aber je mehr wir vergoldet sind, desto mehr verlieren wir uns im Nichts und wir verlieren unsere Freiheit.
Ortenau Journal: „Live in Vienna“ – da hätte man sich zu deinem Album-Opener (auch optisch) den legendären Falco an Deiner Seite vorstellen können. Was brachte Dich nach Wien?
Sonja Schmitz: Mein Album-Co-Producer wohnt und arbeitet in Wien. Daher die Verbindung und meine Aufnahmen in Wien. Auch die anderen Musiker, mit denen ich die Live-Version der Lieder aufgenommen habe, finden sich im Album. Ich habe mich entschieden, vier Lieder aus dem Album in Live-Arrangements aufzunehmen und „live“ zu singen. Nachdem ich das Album fertiggemacht hatte, wollte ich noch etwas schaffen, was nicht „überproduziert“ war, sondern eine „good-old-live“-Aufnahme. Deswegen habe ich Videos im Vintage-Style gedreht. Ich vermisse immer mehr die Zeiten, wo Musik tatsächlich gespielt und nicht synthetisch bearbeitet, fast erstellt wird. Ich vermisse das Echte. Kein Bullshit. Kein Fake. Wahres Gesicht und wahre Stimme. Falco war leider nicht dabei.
Ortenau Journal: Du arbeitest wohl hauptsächlich fürs Recording in einem Studio, früher sogar in Freiburg. Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass es hier im Südwesten relativ wenig eigenständige Songwriter und Künstler gibt, aber ein gewaltiges Überangebot von Coverbands. Gibt es zu wenig Infrastruktur und Perspektiven für eigene Musik hier im Süden oder woran liegt das?
Sonja Schmitz: Wir befinden uns in „schnell-schnell“-Zeiten. Es herrscht insgesamt eine egozentrische „Instant Kultur“ – was habe ich und wie schnell habe ich etwas davon. Um Online zu „verdienen“, muss man in konstanter Arbeit Industrie-Content produzieren. Wenn man aber qualitativ und seelisch richtig produzieren möchte, braucht man Zeit. Man braucht Zeit, sich fachlich, künstlerisch und seelisch weiter zu entwickeln. Man muss viele Fehler machen. Man muss immer wieder emotional investieren, Kritik einstecken und wieder schlauer von vorne anfangen, sich immer wieder neu erfinden und mit der eigenen Kunst reifen. Dafür hat heute kaum noch ein Mensch die Zeit oder Lust. Ein Klick scheint die Lösung. Per Klick braucht man kein Studio, sondern nur ein Handy, eine App und fertig.
Ortenau Journal: Gibt es für dich emotionale Verbindungen zu deiner Heimat Bosnien, welche sich in deinen Songs widerspiegeln?
Sonja Schmitz: Es gibt keinen direkten bosnischen Einfluss auf meine Musik. Aber Bosnien und meine Kindheit sind meine Wurzeln, meine Basis, mein Kompass und Erdung. Das hat Einfluss auf alles in meinem Leben und dann wahrscheinlich indirekt auf meine Musik. Immer, wenn ich mich verliere, rufe ich meine bosnische Familie und meine bosnischen Freunde an. Die kennen mich, die sind immer brutal ehrlich zu mir, die sind mein Spiegel und Lackmuspapier für meine Seele.
Ortenau Journal: Du erwähntest, dass heutige Formen der Veröffentlichung das klassische Album – online oder digital – kaum noch zulassen würden. Du machst es jetzt häppchenweise, wann gibt es dein ganzes Album kompakt zu hören?
Sonja Schmitz: Heutzutage haben weniger Menschen die Zeit oder Geduld sich das ganze Album auf einmal anzuhören. Deswegen macht es mehr Sinn, ein Lied nach dem anderen zu veröffentlichen. Ich habe noch keinen Plan, wann das ganze Album als eine Einheit veröffentlicht wird. Ich fahre auf Sicht, konzentriere mich immer auf den nächsten Schritt. Der Mensch plant, Gott lacht … Meine Entscheidung wird auf den Reaktionen des Publikums basieren. Wenn ich spüre, dass die Zeit gekommen ist, alles als ein Album zu publizieren, dann mache ich es…
Ortenau Journal: Du bist immer wieder mit neuen Songs zu hören, entwickelst dich weiter, hast deine Fangemeinde – wie sieht es denn mit einer Band und Live-Auftritten aus? Was sind deine Pläne für 2025?
Sonja Schmitz: Leider habe ich meine Live- Auftritte vernachlässigt. Ich mache meine Musik nicht als Hauptberuf. So ist es manchmal sehr schwer, alle Aufgaben und Erwartungen zu balancieren. Die Motivation ist auch schwer kontinuierlich hochzuhalten, wenn man müde ist. Gleichzeitig mag ich nichts halbwegs zu machen, sondern „wenn schon, denn schon“. Wenn ich meine Musik mache, dann gebe ich in diesen Momenten alles, was ich in mir habe. Ich arbeite aber schon sehr intensiv an ein paar Überraschungen. Frage mich 2025.
Die Songs:
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
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