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Jürgen Stark´s Kulturkolumne #8

Jürgen Stark´s Kulturkolumne #8: Apocalypse now: Hinterm Horizont geht’s weiter

Jürgen Stark
© Bild: FLM design + creative/Ortenau Journal
Als „The Final Countdown“ 1986 veröffentlicht wurde, rechnete niemand mit einem Welthit. Die schwedische Band Europe stritt über das pompöse Synthesizer-Intro, doch der Song wurde zum Klassiker. Heute wirkt der Titel aktueller denn je – ob als Soundtrack der Nachrichten oder als Endzeitfanfare. Zwischen Rockballaden, Kriegsrhetorik und politischer Unruhe bleibt eine Frage: Stehen wir wirklich vor dem finalen Countdown? Stell dir vor, es ist Weltuntergang, und keiner geht hin.

Von Jürgen Stark

Der Song blieb lange im Ohr, die darin enthaltene Botschaft unvergessen. Wie man hörte, war „The Final Countdown“ bei der schwedischen Hard-Rock-Band Europe äußerst umstritten. Ein skuriles Phänomen bei vielen härteren Rockbands und ihren Fans: Sie lieben ihre Balladen oft nicht. So auch bei den Scorpions, deren Auftritt als Headliner im letzten Sommer beim „Wacken Open Air“ in der Szene heftig umstritten war – Songs wie „Wind of Change“ hatte man ihnen nicht so recht verziehen. Denn das war aus Sicht einiger Krawallos zu sehr Pop für Warmduscher.

„Gamechanger“ Gorbatschow

Sie durften schließlich trotzdem kommen und Wacken rocken. Ohnehin ein epochaler Hit, hatten die harten Hannoveraner um Sänger Klaus Meine und Gitarrero Rudolf Schenker doch immerhin dem „Gamechanger“ Michail Gorbatschow darin gehuldigt und eine musikalische Friedenstaube fliegen lassen. Bis zum Auftritt in Moskau und in alle Charts der Welt hinein brachten es diese berühmten Flötentöne im Intro.

Doch der Wind des Wechsels ist leider längst der Wind von gestern. „Gorbi“ ist längst Geschichte, wie auch unser Friedenskanzler Willy Brandt, der aus ähnlich edlem Holz geschnitzt war. Inzwischen haben die harten Herzlosen das Sagen, brauchst du als Normalo starke Nerven um all das schwarze Übel, was dir die Nachrichten aus dem Fernseher ins Wohnzimmer kippen, zu überstehen und nicht darin zu ersaufen.

Kein Wunder, dass kein Künstler auf die Idee kommt, für Putin eine Ballade zu schreiben. Was uns wieder zu Europe und ihrem Welthit bringt. Der Name der Gruppe wirkt bizarr, wenn man „Final Countdown“, in wahrer Endzeit-Melancholie, mit „EU“ verkürzelt und Botschaft mit Nationenraum in Beziehung setzt. Die letzten Tage von Brüssel? Es scheint derzeit alles möglich, denn im politgrau dieser Tage erinnert auch vieles an den berühmten Kriegsfilm „Apocalypse now“ – wir sollen jetzt „kriegstüchtig“ werden, sagen deutsche Minister, von denen nicht gerade wenige einst den Kriegsdienst verweigerten. „Zeiten ändern dich“, rappte Bushido.

Peinliche Nummer?

Und nochmals die „alten Schweden“ Europe und ihr ungewöhnlicher Hit, der von Joey Tempest geschrieben wurde. Er erschien 1986 auf dem gleichnamigen Album und war dessen erste Single-Auskopplung – als es damals noch physische Tonträger gab. Das Lied war das bekannteste und erfolgreichste von Europe. Der Song basierte auf einem Keyboard-Riff, den Tempest anno 1982 auf einem KORG Polysix schrieb. Tempest nahm ein Demo auf, spielte es seinen Bandkollegen vor. Die guckten betreten und fanden die Nummer eher peinlich, viel zu soft.

Gitarrist John Norum gab später zu Protokoll: “Als ich das Synthesizer-Intro von ‚Final Countdown‘ zum ersten Mal hörte, war meine Reaktion: Nein, das ist verrückt. Wir können das nicht benutzen. Zum Glück haben sie nicht auf mich gehört.“ Joey Tempest gab Jahre später zu, dass der Widerstand der anderen Musiker erheblich war, er sich schließlich aber durchgesetzt hatte. Inspiriert hatte ihn eine andere musikalische Vision, nämlich die Texte des David-Bowie-Klassikers „Space Oddity“. Künstler dürfen das, mal eben das Mikro nehmen und im „outer space“ singen.

Größter Hit der Band

Gewöhnliche Intellektuelle benötigen meist viel Anlauf um auf die echt abgehobene Meta-Ebene zu kommen, Künstlern reicht eine Melodie – und schon sind sie auf dem „Stairway to Heaven“, eine andere schöne Ballade. Als dann jedenfalls das gesamte Europe-Album fertig wurde, war „The Final Countdown“ eigentlich nur als Eröffnungslied für Konzerte gedacht, niemand in der Band rechnete damit, dass es ein Hit werden würde. Doch das Label Epic Records wollte „The Final Countdown“ als erste Single haben, die Band lenkte ein.

Der Song wurde am 14. Februar 1986 veröffentlicht und ist bis heute der größte Hit der Band. Der Song wurde ein Welterfolg, sollte Spitzenpositionen in 25 Ländern erreichen, auch in Deutschland. Das Lied wirkt wie eine Fanfare, es marschiert auf, bläst zum Appell. Es ist pompös und theatralisch, es wirkt infernalisch und grotesk. Aber gut, wie auch sonst will man den Weltuntergang angemessen illustrieren?! Ausgerechnet heute nun könnte man mit diesem „finalen Countdown“ jede „Tagesschau“ passend als Soundtrack eröffnen.

Hören und – in deutscher Übersetzung – lesen wir mal ein paar Zeilen: 

„Wir brechen zusammen auf

Aber dennoch ist es ein Abschied

Und vielleicht werden wir zurückkommen

Zur Erde, wer kann das sagen?

Ich schätze, daran ist niemand schuld

Wir verlassen den Boden

Werden die Dinge jemals wieder dieselben sein?

Es ist der letzte Countdown

Der letzte Countdown“.

Deutschland hat alle Atomkraftwerke abgeschaltet. Soeben diskutierten „Experten“ (i.d.R. = Lieferanten für „bestellte Wahrheiten“) den Bedarf (!) einer deutschen Atombombe. Dafür müsse man aber den niemals angeschalteten „Schnellen Brüter“, einen atomaren Hochleistungsreaktor in Kalkar, ans Netz gehen lassen, damit der bei der Verbrennung wertvolles Plutonium für den Bau der A-Bombe liefern könne. Das sagte mein Fernseher. Man sollte also schnell noch die GEZ-Gebühr überweisen, bevor der nukleare Fall Out kommt. 

„Die Rocker meckern wieder“

Fasten Your Seat Belts: Für die letzte Reise empfehle ich „Stairway to Heaven“ von Led Zeppelin, ein wunderschöner Spaziergang auf dem Weg zur Himmelspforte, auch für Nahtod-Erfahrungen hervorragend geeignet, liebe Brüder und Schwestern. Ach, die Rocker meckern wieder, ihnen alles zu schwülle, okay, dann hört doch „Highway to Hell“ von AC/DC, wenn’s final kracht, kommt am Ende aufs Gleiche raus.

P.S. Sollte das Inferno denn doch nicht stattfinden („Stell dir vor, es ist Weltuntergang und keiner geht hin“) gibt es jede Menge Schönklang, da würde ich dann „Freude schöner Götterfunken“ empfehlen und von Louis Armstrong „What a Wonderful World“. 

P.P.S. Ciao, bis zur nächsten Kolumne, wenn dann die Welt noch steht. 

Jürgen Starks finale Hitparade:

YouTube-Video: Europe – The Final Countdown (Official Video)

YouTube-Video: Scorpions – Wind Of Change (Official Music Video)

YouTube-Video: Led Zeppelin – Stairway To Heaven (Live at Earls Court 1975)

YouTube-Video: AC/DC – Highway to Hell (Live At River Plate, December 2009)

Siehe auch:

Schellet, Schellet, Sexi!“ Fasent läuft: Fruchtbare Dämonen feiern die kommende Diät

Kultur in Bedrängnis: Kann der „Frontalangriff auf die freie Szene“ gestoppt werden?

Jürgen Stark´s Kulturkolumne #5: Die fragwürdige Arbeit der jeweils Mächtigen

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