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CDU-Mitglieder reden Klartext: Das denkt die Basis über die Koalitionsgespräche in Berlin

Christian Ell (CDU)
© Geraldine Zimpfer
Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD sind in der Zielgeraden. Doch in den vergangenen Wochen gab es viel Kritik an Friedrich Merz: An der CDU-Basis rumort es, viele Mitglieder fühlen sich wegen der neuen Schulden und fehlender Impulse in der Wirtschafts- und Migrationspolitik übergangen. Zwei CDU-Mitglieder aus der Ortenau sprechen im Interview Klartext – über Schulden, Kompromisse, Erpressbarkeit und die Gefahr, den Wählerwillen zu ignorieren.

Von Wolfgang Huber

Auch wenn das Ergebnis kurz bevor steht. Man weiß noch nicht, was ausgehandelt wurde. Seit Wochen rumort es an der CDU-Basis. Auch bei der CDU Ortenau. Die Koalitionsverhandlungen sind bisher nicht so verlaufen, wie es sich die Mitglieder gewünscht hatten. Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz mache zu viele Zugeständnisse, könne sich nicht durchsetzen. Kritisiert wird unter anderem der Wortbruch beim Thema Schuldenbremse, das Ausbleiben der Migrationswende und das Fehlen entscheidender Impulse für die kränkelnde Wirtschaft und den an Attraktivität verlierenden Standort Deutschland. Von Bürokratieabbau hat man auch noch nichts gehört.

Wähler wollen Politikwechsel

Doch nicht nur die CDU-Mitglieder sind scheinbar unzufrieden, auch die Wählerschaft insgesamt. Denn seit der Bundestagswahl hat die CDU fünf Prozent verloren, während die AfD weiter an Zustimmung gewinnt. Vielleicht sollten es die Verhandlungspartner mal mit dem von der Bevölkerung gewünschten Politikwechsel versuchen. Eine Initiative von CDU-Mitgliedern fordert beispielsweise eine Urabstimmung über den Koalitionsvertrag, bevor er in Kraft tritt. Das Ortenau Journal hat mit zwei CDU-Mitgliedern gesprochen und sie – als Teil der Basis und derzeit ohne Parteiamt oder Mandat – nach ihrer Meinung zum Verlauf der Koalitionsverhandlungen befragt.

Zunächst das Interview mit Jochen Bohnert aus Oberkirch, dem Chef der Genusswerkstatt:

Ortenau Journal: Die Erwartungen an Friedrich Merz waren nach der Bundestagswahl hoch. Dann kam die Reform der Schuldenbremse mit dem milliardenschweren Sondervermögen. Fühlt sich die CDU-Basis da hintergangen?

Jochen Bohnert: Ja!

Ortenau Journal: Viele bezeichnen die Wende von Merz als Wahlbetrug. Du auch?

Jochen Bohnert: Wahlbetrug würde ich nicht sagen. Einerseits kann ich es verstehen. Wenn man eine Koalition bilden will, muss man Kompromisse eingehen. Das ist schon klar. Aber das man das in einer Hauruck-Aktion macht, weil sich aufgrund einer Aussage von Donald Trump die Weltlage verändert hat, ist schon fragwürdig. Und dann zu sagen, wir müssen jetzt eine Billion Euro Schulden machen, finde ich erst Recht sehr verwunderlich. Und dann zieht man das auch noch innerhalb von zwei Wochen ohne den frisch gewählten Bundestag durch.

Ortenau Journal: Beim Thema Migration hakt es bislang auch. Es wurden ja Grenzkontrollen mit Zurückweisungen versprochen. Da scheint sich Merz nicht durchsetzen zu können.

Jochen Bohnert: Da muss man mal abwarten. Es kann sich schon noch was tun. Auch da muss ein Kompromiss her. Aber ob man dann den richtigen Koalitionspartner hat, ist die Frage.

Ortenau Journal: Zumal die CDU doppelt so stark aus der Wahl hervorgegangen ist als die SPD.

Jochen Bohnert: Genau. Aber dass man mit keiner anderen Partei verhandelt, ist dann das Problem. Da macht man sich erpressbar.

Ortenau Journal: Welche Beschlüsse braucht es im Bereich der Wirtschaftspolitik?

Jochen Bohnert: Viele Dinge müssen viel schneller vonstatten gehen. Bei uns ist alles so kompliziert, es dauert zu lang, bis mal etwas umgesetzt wird. Das Stichwort lautet Bürokratieabbau. Aber wenn ein Gesetz abgeschafft wird, kommen drei oder vier neue. Es müsste umgekehrt gehen. Es gab ja auch mal die Devise: Für jedes neue Gesetz müssen zwei andere zurückgenommen werden. Aber inzwischen sind wir so weit, dass jeweils drei oder vier Gesetze zurückgenommen werden müssten.

Ortenau Journal: Gibt es in deiner Branche auch diese Dokumentationspflichten.

Jochen Bohnert: Natürlich. Aber viel mehr trifft uns im Moment die Energiepolitik. Das ist eigentlich das Todesurteil für den Mittelstand.

Hier nun das zweite Interview mit Christian Ell:

Die Unzufriedenheit ist deutlich spürbar. Wir haben am Rande der Nominierungskonferenz der CDU für den Landtagswahlkreis Kehl in der Stadthalle Renchen mit dem CDU-Mitglied Christian Ell aus Zusenhofen gesprochen. Er saß von 2019 bis 2024 im Ortschaftsrat, schied dann aber aus und hat derzeit keine politischen Ämter oder Funktionen. Ein Mann der Basis also.

Ortenau Journal: Du hast mal gesagt, dass du kein typisches CDU-Mitglied bist. Was unterscheidet dich denn von den „klassischen“ CDU-Mitgliedern?

Christian Ell: Das erste ist, dass ich von ganz links komme, von der SPD. Dann bin ich zu den Grünen und schließlich über den Ortschaftsrat zur CDU gekommen. Aber ich fühle mich in der CDU gut aufgehoben, gerade wegen dem wirtschaftspolitischen Teil. Lediglich die Schuldenbremse war mir immer ein Dorn im Auge. Aber man kann in einer Volkspartei keine Übereinstimmung in allen Punkten erwarten. Und den Punkt mit der Schuldenbremse haben sie ja jetzt ausgeräumt mit dem Milliarden-Paket. Ich weiß, dass es an der Basis nicht gut ankam. Aber für mich ist das ein Bonus. Sie haben jetzt endlich erkannt, dass man Staatsschulden ja nicht zurückbezahlt. In Zeiten maroder Infrastruktur und fehlender Verteidigungsfähigkeit war es der richtige Schritt.

Ortenau Journal: Glaubst du, dass die CDU-Basis sich jetzt verarscht vorkommt?

Christian Ell: Ich glaube schon. Das war ein Hauptthema im Wahlkampf. Man hat auf der Straße damit geworben, dass wir besser mit Geld umgehen können. Ich sehe das differenzierter. Das Aufweichen der Schuldenbremse bedeutet ja nicht, dass jetzt das Geld rausgeschmissen werden muss. Sondern es muss mit Vernunft eingesetzt werden. Wichtig ist, dass das Geld in den Projekten ankommt und nicht zu viel auf der Strecke verloren geht.

Ortenau Journal: Bei der Migration und in der Wirtschaftspolitik kann sich die CDU aktuell aber auch nicht durchsetzen. Bislang gibt es keine Entlastungen für die Unternehmen. Ein Politikwechsel sieht eigentlich anders aus, oder?

Christian Ell: Die Wähler wollten eher Mitte-Rechts, bekommen aber jetzt durch die SPD wieder eher Mitte-Links. Ich denke, dass die SPD auch mal den Wählerwillen anerkennen und sich mehr in Richtung Mitte bewegen muss. Es kann nicht sein, dass die CDU ihr Profil nicht wahren kann, weil sie nach Rechts wegen der AfD geblockt ist und links niemand Zugeständnisse macht. Das tut auch der SPD nicht gut. Denn aus 16 Prozent kann auch schnell mal ein einstelliger Wert werden, wenn weiter der Wählerwillen ignoriert wird. Wichtig ist jetzt die richtige Ressortverteilung, die richtigen Minister. Dann kann man noch gute CDU-Politik machen.

Ortenau Journal: An welchen Stellen müsste die CDU jetzt nochmal nachlegen, um die Basis wieder zu beruhigen.

Christian Ell: Bei der Migration. Da erwartet die Basis schnellere Lösungen. Aber ich glaube, dass sich eine gute Lösung finden wird. Man sollte gar nicht so sehr auf das Gaspedal drücken, sondern lieber ein gutes Paket aushandeln. Dann das Gefühl vieler Menschen beim Bürgergeld, dass sie nicht wesentlich besser dastehen als jemand, der nicht arbeitet. Da müssen ein paar Stellschrauben in Richtung mehr Gerechtigkeit gedreht werden. Weniger über eine Absenkung der Regelsätze. Die sind ja mehr oder weniger vom Grundgesetz nach unten hin gedeckelt. Vielmehr sollte die Mittelschicht bei den Steuern entlastet werden.

Ortenau Journal: Kleiner Schwenk zur Landespolitik. Ist Katrin Merkel in deinen Augen die richtige Kandidatin, um in die großen Fußstapfen von Willi Stächele treten zu können?

Christian Ell: Es ist schon mal gut, dass sie eine Frau ist. Denn die Frauenquote ist ja in der CDU bekanntlich nicht so hoch. Sie macht einen sympathischen Eindruck, hat Familie, steht mitten im Leben. Daher glaube ich, dass sie die Richtige ist.

Ortenau Journal: Bei der Landtagswahl verlor Willi Stächele sein Direktmandat an Bernd Mettenleiter. Kann Katrin Merkel das wieder zurückholen?

Christian Ell: Das kann sie definitiv. Als Willi Stächele sein Direktmandat verlor, lag das weniger an seiner Person als vielmehr an der damaligen Wechselstimmung nach der Ära Angela Merkel und dem Hype um die Grünen. Das ist diesmal anders.

Ortenau Journal: Die CDU hat nach 30 Prozent bei der Bundestagswahl inzwischen in kurzer Zeit deutlich an Zustimmung verloren. Die Altersstruktur ist auch nicht gerade günstig. Siehst du die CDU auf dem absteigenden Ast oder gibt es für die Partei noch ein gute Zukunft?

Christian Ell: Fakt ist, dass alle Parteien immer das Problem haben, dass die jeweils nachfolgende Generation aus Wechselwählern besteht. Man wechselt den Sport, den Musikstil, den Freundeskreis und so ist es auch bei der Politik. Aber man sollte sich jetzt nicht von den Umfragen treiben lassen. Es gibt eine gute Zukunft, wenn die kommenden vier Jahre gut regiert wird. Das sollte aber bei einem 1000 Milliarden-Investitionspaket möglich sein.

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