Von Jürgen Stark
Im Abseits mit Christian Lindner. Es geschah vor etlichen Jahren, bei einem Abend der FDP im idyllischen Durbach, in einem Hotel. Der seinerzeit noch unbekannte Christian Lindner hielt einen Vortrag mit anschließender Aussprache. Ich stellte ihm aus dem Publikum heraus eine Frage. Wie es denn die FDP mit der Kultur halte, angesichts sich rapide ausbreitender prekärer Lebensbedingungen bei Künstlern und Kreativen. Lindner schwurbelte einen inhaltsleeren Blubbsatz rund um „Kultur muss angemessen gefördert werden“.
Scheitern vorprogrammiert
Dann sagte er etwas, was etlichen Teilnehmern der Veranstaltung in Erinnerung bleiben sollte: „Sie rollen ja mit den Augen…!“ Das war beachtlich, denn es stimmte, allerdings saß ich weit von Lindners Pult entfernt im hinteren Teil der Reihen. Mein Augenrollen muss also heftig gewesen sein, dass er es über viel Distanz hinweg erkennen konnte. Häufig erzählte ich diese Anekdote in den letzten drei Ampel-Jahren Freunden und Bekannten. Denn seit dieser Begegnung mit Lindner war mir klar, dass sich hier ein Dünnbrettbohrer durch angelesenes Halbwissen durchlavieren wollte, um als Berufspolitiker auf allen Feldern irgendwie kompetent zu wirken. Scheitern vorprogrammiert.
Zu Lindners Ehrenrettung muss gesagt werden, dass er mit seinen Kultur-Plattitüden beileibe nicht der einzige in der politischen Klasse ist. Und sogar weit über Parteien und Politiker hinaus, herrscht über Medien bis zur Gesellschaft allgemein kulturelle geistige Finsternis. Wohl kein anderes Volk in Europa hat ein derart gestörtes, distanziertes, launisches, mitunter arrogantes, Unverhältnis zur Kultur. Das ist traurig, hat viel mit der Entwurzelung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen zu tun. Rio Reiser, Udo Lindenberg und anderen Rock-Pop-Pionieren ist es zu verdanken, dass die deutsche Sprache überhaupt Einzug in die Moderne halten konnte.
Ideologischer Dachschaden
Das war nämlich seinerzeit in den Swinging Sixties bei uns verpönt, da linke Dogmatiker aus der 1968er Generation unbedingt politische Polizei spielen mussten – um jegliche deutsche Kultur als „Nazi“ zu brandmarken. Ein ideologischer Dachschaden, der bis heute die Geister trübt. Wir merken: Kultur schrammt hierzulande stets an diffusen politischen Barrieren vorbei, wird viel zu wenig als ernstzunehmende notwendige Identität wahrgenommen.
Es macht eben einen Riesenunterschied, ob ein Volk sich gegen eine Diktatur mit dem Stolz seiner Kultur erhebt, wie im Fall des Mikis Theodorakis, der als griechischer Komponist, Schriftsteller und Politiker noch heute in seiner Heimat als Volksheld verehrt wird, als musikalischer Krieger gegen die einstige Junta. Oder ob du eben im heimatverklemmten Deutschland lebst, dessen Fussballer bei Spielen der Nationalelf ihre eigene Hymne jahrelang nicht sangen oder teils noch immer höchstpeinlich verdruckst murmeln.
Weder Dichter noch Denker
Ein vollkommen falscher Kulturbegriff beflügelt die akute Krise, denn Argumentation geht nur mit stabilen Grundkenntnissen und Kultur geht nur mit Gefühl. Womit wir wieder bei Christian Lindner wären. Wer Kultur nur abstrakt in höchste Stufen des Förderfähigen, also in dünkelhafte Hochkultur, daneben in Kommerz, der sich bitte selbst ernähren soll und – at least – in bespassendes (minderwertiges) Hobby und „Freizeit“ einsortiert, der ist weder Dichter noch Denker. Der ist empathielos Unwissender.
Aus dieser abwertenden Vorurteilssicht heraus resultieren diskriminierende Falschaussagen vom laufenden Meter. Demnach bedeutet Kultur ein Fass ohne Boden, ist verschenktes Geld, kostet nur und bringt nichts usw. – dass demnach auch die gesamte Berufspolitik Steuergeldverschwendung wäre, darauf kommt keiner, aber auch dieser durchaus umstrittene Berufsstand kommt nicht ohne Förderung aus. Nicht alles erwirtschaftet Geld und kann allein daraus Legitimation beziehen.
Die totale Abrissbirne
Warum aber wurden durch die Corona-Maßnahmen Künstlerkarrieren vernichtet, mussten Clubs und Theater für immer schließen, während die hierfür politisch Verantwortlichen mit Diäten und Pensionsansprüchen ihren eitlen Platz an der Sonne – subventioniert risikofrei – weiter behielten und niemals Schadensersatz leisten mussten?! Here we are: Der Schaden, den der politische Corona-Elefant im kulturellen Porzellanladen anrichtete, scheint den selbstgerechten Verantwortlichen wohl noch immer nicht groß genug zu sein. Denn jetzt kommt die totale Abrissbirne, irgendwer muss sparen, natürlich – wie immer – die Kultur (denn die saufen auf Galas, bei Vernissagen und Ausstellungen oder im Theaterfoyer doch sowieso alle Champagner).
Vorurteile off. By the way: Haben Sie bei der BT-Wahl mal etwas von Kultur gehört? Kultur bedeutet Leben. Wenn sich Eltern kein Instrument für ihre Kinder mehr leisten können, wenn kleine Clubs dank Auflagen, sündhaft hoher Steuern und Abgaben den Bands keine Bühnen mehr bieten können, wenn der Besuch von Opernhäusern und Theatern dem einfachen Volk dank rapide schwindender Kaufkraft nicht mehr möglich/bezahlbar ist – ist das dann alles gerecht, denn es geht ja „nur“ um Kultur…?! Berlin ist Avantgarde. Nicht für Kunst. Für eine Katastrophe. Die neue deutsche Sparkultur wird derzeit an der Spree schon einmal brachial vorgelebt. „Anzuhaltende Mittel“ nennt der Senat seine politische Barbarei.
Angebote zur Wissensvermittlung
Beispiel: 950.000 Euro, die die Urania in diesem Jahr vom Land Berlin erhalten sollte, erhielten den Vermerk „Einsparung“. Die traditionsreiche Kultur- und Bildungseinrichtung in Schöneberg erhält keine Zuschüsse mehr. Die Direktorin der Urania, Johanna Sprondel, gab schockiert dem Berliner „Tagesspiegel“ zu Protokoll: „Berlin zerstört eine Institution, die es seit 1888 gibt.“ Das Haus verstehe sich als Bildungsinstitution, die leicht zugängliche Angebote zur Wissensvermittlung macht. Vorbei.
Getroffen wird allerdings auch ein Milieu, welches sich fragen muss, warum es Parteien wählt, die Fahrradwege in Peru finanzieren. Denn sowas kommt von sowas. Auch Krieg ist teuer, Kultur kann weg? Judgement day. Die Szene rebelliert. Die Liebe zu den Grünen endet per Schock. Die Lieblinge der Medien kokettierten seit Joschka Fischer mit einem progressiven Image, aber waren der Kultur genauso wenig verbunden, wie Christian Lindner, wie die gesamte politische Klasse.
Politische Schadensbilanz
Claudia Roth setzte als Höhepunkt ihrer politischen Schadensbilanz für 2025 massive Kürzungen um beinahe 50 Prozent plus komplette Förderstopps an – und das trotz eines höheren Etats! Grün wirkt. Insgesamt werden die Mittel der sechs Bundeskulturfonds 2025 halbiert: Literaturfonds, Stiftung Kunstfonds, Fonds Soziokultur, Fonds Darstellende Künste, Deutscher Übersetzerfonds und Musikfonds – erhalten statt 34,3 Millionen Euro, 2025 nur noch 18 Millionen Euro.
Bei den Fonds handelt es sich um Fördereinrichtungen von bundesweiten Kunst- und Kulturverbänden, die von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien – Claudia Roth – finanziert werden. In erster Linie Förderer der freien Kulturszene, welche in den vergangenen Jahren tausende kulturelle Projekte unterstützten.
„Frontalangriff auf die freie Szene“
Eine Stellungnahme des Deutschen Musikrats lässt Zahlen Wirklichkeit werden: Sollten die Vorhaben der Bundesregierung umgesetzt werden, kann der Musikfonds von 100 eingereichten Projekten nur noch schlappe 10 fördern. Prof. Martin Maria Krüger, Präsident des Deutschen Musikrates und Vorsitzender des Musikfonds, bezieht entsetzt und zurecht voller Empörung klare Stellung: „Die anvisierten, drastischen Kürzungen der finanziellen Mittel gefährden die erfolgreiche Arbeit der Bundeskulturfonds. Die Kürzungsvorhaben drohen, das fragile Musikökosystem in Deutschland in Bedrängnis zu bringen – mit Auswirkungen auf die freien Künstlerinnen und Künstler, Ensembles, Kulturinstitutionen und deren Publikum“.
Gregor Hotz, Geschäftsführer des Musikfonds, nennt dieses „Frontalangriff auf die freie Szene“. Berlin bekommt demnächst eine neue Regierung. Dieser ins Stammbuch: Man spricht über die Jahrhunderte der Menschen von deren Kulturen. Nicht von Ökonomien oder Schattenhaushalten. Von Kultur. Denn Menschen sind Kultur. Und keine Wirtschaft. Kapiert…?!
Siehe auch:
Jürgen Stark´s Kulturkolumne #5: Die fragwürdige Arbeit der jeweils Mächtigen
Heute vor 56 Jahren: Als die Beatles von den Dächern Londons ins Jenseits flogen
Country is back in Town! Ob mit oder ohne Banjo! (Der Fortschritt lässt grüßen)
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