Von Jürgen Stark
Aus aktuellem Anlass. Warum, zur Hölle, können wir eigentlich nicht (halbwegs friedlich) zusammen leben?! Ohne Schimpf und Schande, auch in den sozialen Medien?! Darauf gibt es zumindest eine musikalische Antwort. Vor wenigen Tagen hatte Sade Adu Geburtstag (16. Januar 1959). Die überaus sympathische Sängerin mit nigerianischen Wurzeln hatte 1984 den Dauerhit »Why Can’t We Live Together« als grandiosen Reminder veröffentlicht. Eine wundervolle Cover-Hommage mit coolem Smooth-Jazz.
Worum ging es darin eigentlich? Für den Erfinder kamen Impulse für sein »Why Can’t We Live Together« aus dem Fernseher, der – damals wie heute – überwiegend Überbringer schlechter Nachrichten und jeder Menge „bad vibes“ war bzw. ist. Sagte später Timmy Thomas. Er hätte unter dem Eindruck der TV-Bilder über den Vietnamkrieg, über Gewalt und kleine Kinder, die aus brennenden Dörfern um ihr Leben liefen, seine traurige Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen wollen.
Die böse Wirkung des Trennenden
Fassungslos über entfesselte Macht, die kein Gewissen hat und seelenlos wirkt. Es war 1972 und Thomas sang dem TV-Horror entgegen: »No more wars, no more wars«. Die böse Wirkung des Trennenden kannte der farbige US-Amerikaner allzu gut. Als er seine Impressionen zu einem Kunst-Stück machte, war das Verbot der Rassentrennung in den USA gerade mal acht, die Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King vier Jahre her.
„No matter, no matter what color
Mmm, you are still my brother“
Everybody wants to live together
Why can’t we be together?“ – es ging ihm also um mehr als Krieg, nämlich um die Sehnsucht, das Trennende zwischen den Menschen endgültig zu überwinden. Auch um das Fragen nach Ursachen, die Thomas für nicht akzeptabel hielt. Unverständlich, warum zahlreiche Medien den musikalischen Humanisten Timmy Thomas, mit seinem großartigen Appell in Gestalt seines genialischen „Why“-Liedes, auf „Antikriegssong“ reduzierten. Was nicht nur falsch ist, sondern auch eine leicht abwertende Fehlinterpretation.
Dauerhafter Warnblinker
Mit seiner sanften, weichen Soul-Stimme machte Timmy Thomas den außergewöhnlichen Song, mit dem beziehungsreichen Fragezeichen, zum dauerhaften Warnblinker für eine permanent entgleisende Menschheit: Warum? Warum das alles? Das konsequente Nichtverstehen des Künstlers ist typisch für das Innenleben von Musikern, welche mehr mentale Verbindung zum Entstehen menschlichen Lebens im Universum haben als zur Piefigkeit irdischer Mächte.
Thomas hatte Herz und konterte cool. Ein starker monotoner Rhythmus, der als Klopfzeichen an alle Türen hämmert: „Sagt mal, habt ihr sie noch alle…!?“ – frei übersetzt. Thomas unterkühlte seine Wut, ließ Melancholie fließen, kombinierte Orgel und Soul mit einem monotonen Beat – Hilferufe aus der Seele als knapp gehaltene Anklageschrift. Fragezeichen im Sinne eines: „Seid ihr denn alle völlig bescheuert…?!“
Seiner Zeit voraus
Aber Thomas oder auch Sade mögen noch so sehr in musikalischer Schönheit solches Licht in die finstere Erdenwelt ausstrahlen – das Böse will nicht weichen. Why: Weil vor allem das Trennende den jeweils Mächtigen ihre leider oft fragwürdige Arbeit weiterhin enorm erleichtert. Weshalb das Trennende immer den Machtpoker begleitet. Teile und herrsche. Musikkritiker meinen bis heute, dass der von Thomas solo aufgenommene Song seiner Zeit weit voraus war.
So ließ es auch 2017 der Kanadier Drake, bekannter Rapper, während eines Konzertes für einen Moment still werden. Aus dem Off der manische Rhythmusklang zur Lowrey-Heimorgel, melancholische Gedenk-Akkorde. Drake hatte einen seiner größten Hits – »Hotline Bling« – mit einem Sample von »Why Can’t We Live Together« veredelt. Auch Rapper Drake hatte sich an das berühmte akustische Warnsignal im Song des Timmy Thomas erinnert. Denn dort sticht die Orgel einen signifikanten Ton wie eine startende Alarmanlage in die Luft, so als würde Thomas rufen: „Hört doch auf, bleibt friedlich, seid Menschen!“
Das dünne Eis der Zivilisation
Timmy Thomas war nicht nur (musikalisch) seiner Zeit voraus. Nein, der inzwischen verstorbene Soulsänger blieb auf ewig in ihr drin. Was vermutlich auch Sade erkannt hatte. Er hinterließ einen zeitlosen Soundtrack für schreckliche, verantwortungslose Politik und ihre Folgen, für Gesellschaften ohne moralischen Kompass.
Aber waren wir denn nicht schon einmal weiter? Deutschland predigt heutzutage Trennung, moralinsaure „Correctness“ und einseitige kollektive Empörung. Schien lange Zeit unser Konsens, im Sinne des oben genannten Songs, weitgehend verbindliche Gemeinsamkeit zu sein, so knirscht jetzt hierzulande das dünne Eis der Zivilisation. In der vergangenen Woche wurden wir alle Zeugen eines beschämenden Schauspiels. „ntv“ bilanzierte „alle beschädigt“ und die „Bild“ entsetzte sich mehrfach: „Sie regieren am Willen der Bürger vorbei“. Der Deutsche Bundestag geriet wegen eines nachvollziehbaren Antrags der CDU, zwecks Wiederherstellung der inneren Sicherheit, zum Käfig voller Narren, die politische Klasse crashte an konstruktiver Politik fürs Gemeinwohl vorbei.
Vom Bundestag ins Dschungelcamp
Ausgrenzerei und Kumpanei statt sachlicher Auseinandersetzung. Kontrollverlust und Unsicherheit dank sperrangelweit geöffneter Grenzen, worauf die Polizeigewerkschaft ständig hinweist, kein Thema. Es hätte um die Sache gehen müssen, wie wollen wir denn sonst weiterhin zusammen leben?! Wenn der Weg vom Deutschen Bundestag ins RTL-Dschungelcamp nur aus wenigen Schritten besteht, dann weiß jeder, alles verliert seinen Halt. Das Dschungelcamp war unterhaltsamer, aber nicht weniger peinlich.
Wenn selbst drittklassige „Stars“ politisch korrekte Polizei in einer trashigen TV-Freakshow spielen, hat der gesunde Menschenverstand keine Chance mehr. Ex-Sportmoderator Jörg Dahlmann hatte über den US-Präsidenten Donald Trump gesagt: Trump sei zwar an sich nicht sein Fall (!!!), aber als dieser nach dem Attentat im Juli 2024 durch einen Schuss am Ohr getroffen wurde, aufgestanden sei und mit geballten Fäusten „Fight! Fight! Fight!“ rief, habe ihm das imponiert.
Gesinnungsfuror
Im Camp blankes Entsetzen. Die Stars aus dem Gebüsch echauffierten sich. Dahlmann kam ins Verhör. Er hätte sich nicht deutlich genug vom wiedergewählten US-Präsidenten abgegrenzt. Eine peinliche Posse. Gesinnungsfuror. Wer von dort ins Internet geht, der sieht, wie dort solche und andere Kontroversen mit wüsten Tiraden, üblen Beschimpfungen noch mehr aus dem Ruder laufen. So aber können wir definitiv nicht mehr zusammen leben. Soll doch jeder seine freie Meinung haben und diese äußern dürfen – oder wollen wir wie in Nordkorea hausen?
Konfrontationen politischer Akteure, national wie international, zwingen uns zunehmend zu Parteilichkeiten, in die Rolle von Kombattanten jeweiliger Macht- und Rechthabereien. Was wäre aber, wenn wir uns einfach verweigern, nicht mehr an Kontroversen teilnehmen? Es klingt fürchterlich naiv, oberflächlich, ich weiß. Aber sind politische Korrektheiten und gestanzte Feindbilder nicht vor allem manipulativ?
Sade: Keine billige Vermarktung
Erinnern wir uns nochmal an Sade. Sie ließ sich niemals von Produzenten hineinreden, sie machte ihr Ding. Mehr Sex und weniger Inhalt überließ sie anderen. Ihr jazziger Pop war keine billige Vermarktung – das brachte ihr drei Grammy Awards und einen Brit Award. Der Glam-Presse gab sie ein aufschlussreiches Interview, zu Hause in Stroud, einem Dörfchen in der Provinz Gloucestershire im Westen Englands. Sade schwärmte in der „Gala“ vom idyllischen Landleben: „Ich liebe es zu graben. Das ist einfach so greifbar und real. Das fasziniert mich immer wieder, du kannst einen kleinen Samen einpflanzen, und daraus wächst etwas Unglaubliches. In meinem Herzen bin ich einfach ein Mädchen vom Land.“
Wenn es nicht mehr anders geht, dann ist die Flucht aufs Land oder in Nischen besser als ein Zusammenleben, welches nicht funktioniert und man nicht beeinflussen kann. Verweigert euch, bleibt zusammen. Elvis Presley soll mal mit einem Revolver in den Fernseher geschossen haben. Heute kann ich ihn verstehen.
Siehe auch:
Jürgen Stark´s Kulturkolmne #2: Neuer Aufbruch im Party-Universum
Country is bakc in Town! Ob mit oder ohne Banjo! (Der Fortschritt lässt grüßen)
Heute vor 56 Jahren: Als die Beatles von den Dächern Londons ins Jenseits flogen
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