Von Jürgen Stark
Tür auf, Antonio ist da. 60 Lenze jung und Buchautor. Als Kommunalpolitiker der CDU ist Toni Vetrano in der Ortenau bestens bekannt. Ehemals Bürgermeister in Durbach und Kehl – und nun? Als Trainer an der Außenlinie eines Fußballvereins könnte man ihn sich zukünftig vorstellen. „Etwas Sport mache ich auch“, sagt er um dann in großen Bögen zu berichten. Von Ruhestand ist keine Rede, was der Botschaft seines gedruckten Werkes auch widersprechen würde.
Ein lesbares Politikerbuch
Der Klappentext des Buches führt gut ein, es ist ausnahmsweise mal ein lesbares Politikerbuch geworden. Auch wenn es darin allerdings erst dann um Politik geht, wenn man anfängt über all das nach- und mitzudenken, was Vetrano so hervorholt und anreißt. Es ist eine schöne Erzählung, denn sie führt auch zu deutschen Sehnsuchtsorten, im geliebten Italien, mit seinem Temperament, seiner Küche, seinen Landschaften.
Intro: „Im Dezember 1964 reisen die Eheleute Pellegrino und Lucrezia Vetrano mit ihrem neun Monate alten Sohn Antonio, genannt Toni, von Caltabellotta auf Sizilien nach Offenburg, um dort ihre Verwandten zu besuchen. Die Stippvisite wird mehrfach verlängert. Dann finden Pellegrino und Lucrezia Arbeit und verlängern ihren Aufenthalt auf unbestimmte Zeit. So wird Offenburg der neue Lebensmittelpunkt der Familie. Und der sizilianische Toni wächst zum badischen Antonio heran.
Erster OB mit Migrationshintergrund
Aus dem Studenten und Sozialarbeiter wird schließlich der erste Oberbürgermeister in Baden-Württemberg mit Migrationshintergrund. Es ist die Geschichte von „Antonio im Badner Land.“ Im persönlichen Gespräch äußert Vetrano noch so etwas wie eine Präambel als Überschrift zu seinem Tun und Wirken: „Kein Buch kann einen Zeitzeugen ersetzen.“
Los geht’s. Der leibhaftige Antonio ist voller Erinnerungen. Wir waren doch alle Ausländer, damals. Sagt er. „Denn wir kamen aus einem anderen Land, das war doch kein Schimpfwort, das Wort Ausländer“. Achtung, in dem Stil geht es weiter. Klug hat er schon seit seiner Kindheit alles beobachtet, im Wirtschaftswunderland West. Deutsche Textilfirmen suchten damals dringend Personal, das brachte seine Eltern hierher. „In der Zeit kam noch keiner um zu bleiben, man war arbeitender Gast, im Kopf immer die Rückkehr in die Heimat vor Augen.“
Gern gesehener Talk-Gast
Es war eben definitiv alles anders als heute. Erst recht lohnt es daher, seine Geschichte zu lesen und zu verstehen, was im Prinzip nur er erfahren hat und erzählen kann. Sein Wunsch, berichtender Zeitzeuge zu sein, geht eben weit über das Buch hinaus, weshalb er damit inzwischen auch gern gesehener Talk-Gast und Vorträger ist. Sein Wille war und blieb stark. Kindheit in der Offenburger Kronenstraße, der heutigen Wilhelm-Bauer-Straße.
In einer italienischen Schule für Gastarbeiterkinder wollte er aber nicht sein und absolvierte daher die normale Grundschule, brachte es bis zum Studium der Sozialarbeit und von dort aus schnell zu Anstellungen beim Caritasverband und dem Landratsamt Ortenaukreis. Nicht nur er und seine Familie blieben hier; Italiener wurden zu Einwanderern, wurden vor allem auch im Stadtbild mit den bis heute sehr beliebten italienischen Restaurants immer sichtbarer. Auch von der Heimatküche schwärmt er, aber kochen kann er selber „nicht so gut“ und überlässt dies daher lieber seiner Frau. Heimat? „In Deutschland bin ich einer von 80 Millionen, in Italien einer von 60 Millionen.“
Ein lebendiger Europäer
Er ist also eigentlich ein Wanderer, ein sehr lebendiger Europäer, was in seiner Zeit als Bürgermeister in Kehl, mit der Nachbarschaft im Eurodistrikt zum Elsass und Straßburg, dann noch sehr deutlich wird. Das Buch selbst beginnt aber ganz woanders. Denn da trifft man auf die beiden Entertainer Toni Vetrano und Claudio Versace, zwei auffallend fröhliche Tanzmusiker, wie eine Abbildung zeigt. „Zwei Italiener im Hofbräuhaus“ nennt sich das dazugehörige Kapitel über ein Gastspiel in Bayern.
Seine einfache Herkunft stand der aktiven Musik anfangs aber eher entgegen. Doch im Alter von 14 Jahren bekam er seinen Wunsch erfüllt und erhielt eine Gitarre. „An Musikunterricht war gar nicht zu denken. Ich brachte mir erstmal alles selber bei, holte mir Platten bekannter Bands und versuchte das nachzuspielen“. Dann geriet er an den umtriebigen Jess Haberer, Leiter der Offenburger Pfadfinder, späterer Schulleiter der Georg-Monsch-Schule. Haberer setzte vor allem mit der Offenburger Stadtkapelle über viele Jahre musikalische Akzente.
Überraschende Karriere
Dort wurde der junge Toni auch musikalisch integriert. Doch der eigentliche Höhenflug war eine ganz andere, überraschende Karriere, welche im Landratsamt seinen Ausgangspunkt hatte. Dort sah er nach ersten Jahren kaum noch berufliche Aufstiegschancen. Es gab Kontakte, er wagte den Versuch. In Durbach gewann er die Bürgermeisterwahl. Später auch in Kehl.
Im Buch geht es teils sprunghaft und weniger chronologisch zu. Es ist eher eine Reihung von Details, es geht nach Kehl, es folgt Corona – und endet vorerst beim Krebs. Prostata. „Beim Arzt schossen mir Blitze durch den Kopf als ich die Diagnose hörte. Worte wie Schüsse: Chemo. Operation. Krebs.“ Er überstand das alles und sein Leben änderte sich. „Nach 21 Jahren mit den Jobs als Bürgermeister sollte es nun für mich etwas anderes geben als Woche für Woche 70 bis 80 Arbeitsstunden.“ Viele Menschen, die bereits nah am Tod waren, kennen das.
Abenteuerliche Geschichte
Der Blick auf das wahre Leben wird frei, sie beginnen wieder wie ein Kind zu träumen und sich an einfachen Dingen zu erfreuen. In Vetranos Erinnerungen ist sein liebster Bezugspunkt die abenteuerliche Geschichte des Baus der Tram über den Rhein hinweg. Er schwärmt vom damaligen Straßburger OB Roland Ries, der die wegweisende Entscheidung traf, die Brache der Banlieus am Rhein vor Kehl mit einem riesigen, neuen modernen Stadtviertel zu überbauen. Was letztlich auch das Undenkbare möglich machte.
Eine mit der Tram befahrbare Brücke über den Rhein, Mobilität zwischen Deutschen und Franzosen, die sich doch viel zu lange in ihrer Geschichte mit Hass und Krieg begegnet waren. Nun mehr als offene Grenzen und mit den Brücken über den Rhein, schon seit der damaligen Bundesgartenschau, ist aus der grauen Grenzstadt ein lebendiger, bunter Ort geworden. In der neuen Zone zwischen dem alten Stadtkern von Straßburg und dem Rhein wurde ein auffallend attraktiver Vorort geschaffen, mit bald 20.000 Einwohnern, für Deutsche von Kehl aus zu Fuß erreichbar.
Blick über den Rhein
Die dortige Architektur gleicht einer Dauerausstellung neuester, phantasievollster Bauwerke – was die Neubauten hierzulande mit ihrer hässlichen Quader-Unkultur noch irrealer wirken lässt. Der Blick über den Rhein könnte also bei uns dringend notwendige Diskussionen über architektonische Schönheit hervorrufen. Hier jedenfalls lebt Toni Vetrano auf, als Wanderer zwischen Kulturen, denn es begeistert ihn noch immer und in diesen so dunklen und destruktiven Zeiten klingen dann solche Worte wie Licht: „Die Franzosen arbeiten mit uns Deutschen gerne zusammen“, sagt ein Italiener.
Toni Vetrano: „Antonio im Badner Land“ (Mildenberger Verlag, 136 Seiten)
Termin: Am Samstag, 30. November 2024 von 10 bis 13 Uhr stellt Toni Vetrano sein Buch „Antonio im Badner Land“ in der Buchhandlung Roth, Hauptstraße 45, 77652 Offenburg vor. Er signiert dort auch Exemplare und freut sich auf Gespräche.
P.S. Toni Vetrano, diplomierter Sozialarbeiter und Betriebswirt, arbeitet heute als freier Unternehmensberater bei Exsperity mit dem Schwerpunkt systemische Beratung in mittelständischen Familienunternehmen (Unternehmensführung, Leadership, Kommunikation, Change Management & Generationen)
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
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