Von Wolfgang Huber
Ohne sie würden viele eine Sinnkrise bekommen. Denn sie bestimmen längst den Alltag von Milliarden Menschen weltweit: Social Media-Kanäle wie Facebook, YouTube, Instagram, TikTok & Co. Nicht nur, dass man mit Freunden oder alten Klassenkameraden nach Jahren wieder Kontakt aufnehmen kann, es stehen auch jedem, egal ob Privatperson oder Unternehmen, Popstar oder Politiker neue Möglichkeiten offen, seine Themen in den Weiten des Internets zu verbreiten.
Intensive Öffentlichkeitsarbeit
Nicht nur bundesweit bekannte Persönlichkeiten, sondern auch Bürgermeister kleinerer Städte und Gemeinden nutzen die Kanäle zur Verbreitung ihrer Botschaften und von Ereignissen in ihrer Kommunen sehr ausgiebig und intensiv. Teilweise zum Leidwesen von Journalisten, da diese Form der Öffentlichkeitsarbeit den Amtsträgern eine völlig unkritische Plattform zur Verbreitung von Informationen bietet. Die Beiträge lassen diejenigen, die sie posten oder posten lassen, immer in einem für sie günstigen Licht erscheinen. Ganz so, als gäbe es keine Probleme vor Ort oder als ob sie alles richtig machen würden.
Insbesondere Bürgermeister sind dadurch praktisch omnipräsent, früher in der Lokalpresse, wo sie sich in der Regel einer gewissen Hofberichterstattung erfreuen konnten, heute in Social Media. Sie werden nahezu täglich beim Eröffnen eines neuen Ladengeschäfts in der Innenstadt, bei einem Firmenbesuch, ausgelassen feiernd bei einer Fasentveranstaltung oder dem Spatenstich für einen neuen Kindergarten vorteilhaft in Szene gesetzt. Händeschütteln, Volksnähe und kameragerechtes Grinsen inklusive. In der Ortenau gibt es auch einige dieser kommunalen Social-Media-Stars.
Enorme Instagram-Reichweite
Einer davon ist der erst vor drei Jahren ins Amt gewählte Oberkircher Oberbürgermeister Gregor Bühler. Mit seinem Instagram-Profil erreicht er knapp 2.000 Follower (https://www.instagram.com/gregorbuehler/). Das ist gemessen an der Einwohnerzahl von 20.000 herausragend. Denn die Oberbürgermeister der deutlich größeren Kreisstädte Achern (27.000) und erst Recht Kehl (40.000) sowie der Landrat Thorsten Erny, der den ganzen Ortenaukreis mit 440.000 Menschen vertritt, haben weniger als Bühler. Selbst der OB von Offenburg (63.000), Marco Steffens hat mit 2.454 nicht wesentlich mehr Follower und auch das Stadtoberhaupt des fast dreimal so großen Lahr (50.000), Markus Ibert, hat kaum mehr Fans.
Doch einer übertrifft sie alle: Der Bürgermeister des 6.000-Seelen-Städtchens Haslach im Kinzigtal, Philipp Saar, vereint 2.732 Follower auf seinem Profil (https://www.instagram.com/philipp_saar/). Mehr als alle Rathauschefs der fünf großen Kreisstädte. Nimmt man die Follower des offiziellen Accounts der Stadt Haslach mit 3.472 hinzu, erreicht er rechnerisch mehr Menschen, als Haslach Einwohner hat. Bezogen auf die Einwohner sind die Followerzahlen von Saar sogar vielfach höher als bei allen OBs aus dem Kreis. Insbesondere bei bevorstehenden Wahlen können solche Reichweiten bei Instagram, Facebook & Co. sehr nützlich sein. Nun könnte man meinen, dies verspreche durch die Dauerberieselung der Nutzer mit den geglätteten Inhalten auch eine gewisse Sieg-Garantie bei Wahlen. Doch das ist offenbar ein Irrtum.
Sensation in Haslach
Denn am vergangenen Sonntag ist etwas völlig unfassbares passiert. Philip Saar wurde bei der Bürgermeisterwahl in Haslach von seinem Herausforderer Armin Hansmann geschlagen und muss damit nach nur einer Amtsperiode den Chefsessel im Rathaus demnächst wieder räumen. Dabei fiel das Ergebnis des Urnengangs auch noch mehr als deutlich aus. So konnte Hansmann 60 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen, ein Vorsprung von über 20 Prozent vor Philipp Saar. Trotz des üblichen Amtsbonus. Bei seiner Wahl vor acht Jahren erhielt Saar noch 92 Prozent der Stimmen.
Nun läuft die Ursachenforschung noch auf Hochtouren, doch eines lässt sich jetzt schon sagen: Social Media ist nicht immer ein alles entscheidender Faktor bei Wahlen und stößt mitunter an Grenzen. Wie man überall aus autokratischen Regimen oder Diktaturen mit gleichgeschalteten Medien sehen kann, bekommen die jeweiligen Herrscher in der Regel nach wenigen Jahren auch sicher die breite Mehrheit der Bevölkerung auf ihre Seite. Doch im (noch) freien Westen scheinen die Mechanismen der medialen Dauerpräsenz so nicht zu funktionieren, was sicher auch an der Pressefreiheit mit einem vielfältigen, pluralistischen Medienangebot liegt.
Abwahl in kleinen Orten extrem selten
Doch wie oft kommen solche Überraschungen wie in Haslach vor? Die Abwahl eines amtierenden Bürgermeisters ist keineswegs üblich. Wenngleich dies gerade in der Ortenau im Vergleich zum Rest des Landes in der Vergangenheit erstaunlich ‚oft‘ vorgekommen sei, wie Dr. Jörg Röber, Professor für Verwaltungsmanagement an der Hochschule Kehl auf Anfrage des Ortenau Journals erklärt. Er zitiert eine Studie von Timm Kern, der im Zeitraum von 1973 bis 2003 auf neun Abwahlen kommt; bis 2013 seien es immerhin schon 13 Abwahlen gewesen.
„Das Statistische Landesamt kommt in einer eigenen Erhebung, die den Zeitraum von 2010 bis 2017 untersucht, gerade mal auf 57 Abwahlen wieder antretender Bürgermeister. Dies entspricht gerade mal 5,2 Prozent aller abgehaltenen Bürgermeisterwahlen in diesem Zeitraum. Laut Kern steigt die Abwahlwahrscheinlichkeit gerade in größeren Städten und in Städten und Gemeinden, die bereits eine Abwahl erlebt haben“, so Röber. Letzteres lässt das Ergebnis von Haslach noch unglaublicher erscheinen. Den Haslach ist keine größere Stadt und der Bürgermeister kennt die meisten seiner Einwohner sicher beim Vornamen.
Beispiele aus der Ortenau
Bei den Wahlen in Appenweier, Friesenheim, Fischerbach, Ortenberg, Sasbachwalden, Kippenheim und Renchen im vergangen Jahr gab es keine Abwahlen. Auch nicht bei denen in Gengenbach, Willstätt und Bühl in diesem Jahr. Doch es kam laut Jörg Röber auch in der jüngeren Vergangenheit durchaus in der Ortenau vor: „In Zell am Harmersbach kam es 1991 und 1997 gleich zu zwei Abwahlen hintereinander. Eine ganze Reihe weiterer Gemeinden (Durbach, Neuried, Bad Rippoldsau-Schapbach, Meißenheim, Bad Peterstal-Griesbach, Gengenbach usw.) haben auch bereits Abwahlen erlebt.“ Letztlich bleibe es aber dabei, dass Abwahlen nach wie vor sehr selten sind.“
Wo liegen nun aber die Ursachen für Abwahlen von Bürgermeistern? Röber nennt das Beispiel Überlingen am Bodensee. Dort habe es Konflikte zwischen Bürgermeister und Gemeinderat bzw. Konflikte innerhalb der Stadt gegeben. Auch die Skandalisierung der Amtsführung (Missmanagement, Korruption etc.) durch Medien oder politische bzw. gesellschaftlich relevante Akteure können demnach zu einer Abwahl beitragen. Die Gemeindeordnung von Baden-Württemberg sieht nicht vor, Amtsinhaber vor Ablauf der Amtszeit mit einem Bürgerentscheid aus dem Rathaus zu verbannen. Aber in ganz seltenen Fällen kommt es vor, dass ein Amtsinhaber von sich aus auf eine weitere Kandidatur verzichtet oder sein Amt freiwillig zur Verfügung stellt. So geschehen gerade erst im Sommer 2024 in Willstätt, als Christian Huber von Querelen und Intrigen geplagt zurücktrat.
„Person im Mittelpunkt“
Zudem biete laut Professor Röber in den vielen mittleren und kleinen Städten und Gemeinden im Land die Entkoppelung von Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl den Herausforderern ganz gute Bedingungen, da die Parteipolitisierung eher gering sei. Das kam auch in Haslach zum Tragen. Denn obwohl Philipp Saar der gerade in kleinen Kommunen im Südweststaat dominierenden CDU angehört, reichte es für ihn nicht. „Gerade hier steht die Person im Mittelpunkt und weniger eine parteipolitische Verbindung oder Positionierung. Herausforderer die hier persönlich überzeugend auftreten und darüber hinaus ggf. existierende Unzufriedenheiten in Teilen der Wählerschaft bzw. im Gemeinderat adressieren können, haben durchaus Chancen auch etablierte Amtsinhaberinnen und -inhaber aus dem Amt zu befördern“, sagt Jörg Röber dazu.
Nun durfte sich Philipp Saar noch vor wenigen Monaten auf einem vorläufigen Höhepunkt seiner beruflichen und politischen Karriere wähnen. Denn im Dezember wurde er zum Vorsitzenden der CDU-Kreistagsfraktion gewählt. Zudem hatte er sicher die Wiederwahl in Haslach fest vor Augen. Und dann das. Und selbst, wenn man sich die Wahlprogramme der beiden Kandidaten in der Kinzigtal-Gemeinde anschaut, kommt man bei der Ursachenforschung noch nicht entscheidend weiter. So warb Armin Hansmann beispielsweise mit dem Ausbau der Infrastruktur, der Förderung des lokalen Handels und der regionalen Wirtschaft, Baumaßnahmen wie der Ortsumfahrung und der Ausbau der erneuerbaren Energien inklusive Nahwärmeversorgung sowie die Umgestaltung des Bahnhofsareals. Nicht fehlen durften auch die Klassiker Vereinsförderung und Unterstützung des Ehrenamts. Nicht unbedingt üblich war seine Ankündigung, sich für die Schaffung von Wohnraum, insbesondere bezahlbarem, einzusetzen.
Ähnliche Wahlprogramme
Bei Philipp Saar fanden sich die meisten dieser Wahlversprechen ebenfalls im Programm. Mit dem Wissensvorsprung eines Amtsinhaber ausgestattet, hatte er sogar mit der Digitalisierung, einer Kinder-Ganztagesbetreuung und einem Biodiversitätskonzept noch drei Alleinstellungsmerkmale zu bieten. Davon hatte sein Herausforderer nur eines: Der Erhöhung der Sicherheit für die Bürger. Ihm als erfolgreichen Absolventen eine Masterstudiums in Polizeimanagement sei dies ein besonderes Anliegen gewesen, wie seiner Website zu entnehmen ist. War es vielleicht dieser eine Punkt, der den Ausschlag zu seinen Gunsten gab? Eher nicht.
Viel wahrscheinlicher ist eine andere Erklärung: Hansmann ist im Gegensatz zum Ettenheimer Philipp Saar in Haslach geboren, ist von Beginn seines Lebens an in der Stadtgesellschaft integriert und in zahlreichen Vereinen aktiv, darunter der für Kommunalpolitiker wichtige Fußballverein und die Stadtkapelle. Ebenso die Feuerwehr und nicht zuletzt ist der 48-Jährige bis heute Hästräger bei der Narrenzunft. Das war praktisch ein Heimspiel auf fremdem Terrain. Hat das alles gereicht, um den an sich erfolgreichen Philipp Saar aus dem Amt zu hieven? Dadurch wäre bewiesen, dass echte Begegnungen, Authentizität und persönlicher Kontakt der virtuellen Realität immer noch überlegen sind.
Was nicht bedeuten soll, das Saar nicht genauso nah am Bürger dran war und ist. Der gilt als Macher, als Anpacker. Er hat einige Projekte voran getrieben. Wie die Umfahrung oder das Stadion. Motivation, Überzeugung und Ideen waren, soweit man das vom Renchtal aus beurteilen kann, reichlich vorhanden. Ein Mann auf der Überholspur, bevor er ausgebremst wurde. Am Ende dürften Kleinigkeiten den Ausschlag gegeben haben. Vielleicht war den Wählerinnen und Wählern die Allgegenwärtigkeit des erfahrenen PR-Profis zu offenbar. Es wird spannend sein zu sehen, was seine nächste Station sein wird.
Polarisierung durch Gregor Bühler
Noch ein weiterer Punkt könnte wewentlich zum Ausgang beigetragen haben. Die „bescheidene herzliche Art“, wie es die Kommentatorin Maria Benz von Baden Online ausgedrückt hat, sei gut angekommen bei den Bürgern. Demgegenüber sei der „Titelverteidiger“ wenig diplomatisch mit Kritikern umgegangen und habe als „Showman“ Sarkasmus an den Tag gelegt. Im Gegensatz zu größeren Wahlen kommt es vor allem in Kleinstädten auf die Persönlichkeit und Charaktereigenschaften an. Da können schon Nuancen das Pendel in die eine oder andere Richtung ausschlagen lassen. Und natürlich spielt die Verwurzelung in der Heimat ein Rolle.
Wenn es also um solche Kriterien geht, wird womöglich auch die Wiederwahl für Oberkirchs OB Gregor Bühler in fünf Jahren kein Selbstläufer. Zumindest wenn ein qualifizierter Einheimischer gegen ihn antreten sollte. Wie man hört, sind viele Bürger nicht mehr ganz so gut auf Bühler zu sprechen. Mancher stört sich daran, dass er einen Porsche fahre, manch anderer sieht seinen Politikstil kritisch. Beispielsweise dass er die Stadt wie ein Unternehmen führen will. Und seine Energiepolitik mit zahlreichen Windrädern in Waldgebieten spaltet die Bevölkerung ohnehin.
Social Media-Reichweite ist keine Garantie für Wahlsiege
Wenn man nun noch die Parallelen mit Philipp Saar zugrunde legt, nämlich die überragende Social-Media-Präsenz, vor allem auf Instagram (Hansmann scheint dagegen nicht mal ein Profil auf Instagram zu besitzen), dann könnte es bei der allerdings noch in weiter Ferne liegenden OB-Wahl zu einer ähnlichen Überraschung kommen wie im Kinzigtal. Denn wie wir nun wissen, ist die Zahl der Follower noch lange kein Garant für Wahlsiege. Auch übrigens nicht die Professionalität einer Website. Social Media stößt an seine Grenzen. Gott sei Dank, möchte man sagen. Ohne weder Philipp Saar noch Gregor Bühler Erfolge nicht wünschen zu wollen.
Das könnte dich auch interessieren:
Philipp Saar (CDU): „Es fehlt die nachhaltige Krankenhausfinanzierung durch den Bund“
Paukenschlag: Oberkirchs OB Bühler will Agenda 2030 auf den Prüfstand stellen
Boomtown Lahr: Mit stimmiger Stadtmarke, Kultur und Startups in die Zukunft
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
2025 | Ortenau Journal – Das Nachrichtenportal für die Ortenau