Bundestagswahlkreis Emmendingen-Lahr

Eileen Lerche (FDP): „Berlin weiß nicht, was das Beste für Teningen oder Lahr ist“

Eileen Lerche (FDP)
© Eileen Lerche
Im Wahlkreis Emmendingen-Lahr kämpft die FDP-Kandidatin Eileen Lerche für ein gutes Ergebnis ihrer Partei, ohne selbst eine Chance auf ein Bundestagsmandat zu haben. Für die Kommunen fordert die Wirtschaftsingenieurin mehr Gestaltungsspielraum. Einer der Gründe für den Aufstieg der Rechtsaußenpartei AfD sei neben der zögerlichen Migrationspolitik in Berlin auch das Thema Wokeness. Zudem habe sie das Gefühl, dass sich durch die Brandmauer auch Wähler angegriffen fühlten, die gar nicht rechts seien, sondern einfach nur unzufrieden.

Von Wolfgang Huber

Immer wenn Parteien kurz vor einer Wahl in den Umfragen nicht gut dastehen, wird auf die vielen unentschlossenen Wähler hingewiesen, die das Ergebnis doch noch in die richtige Richtung lenken können. Das ist bei der SPD dieser Tage häufig zu hören oder wie jetzt geschehen beim Parteitag der FDP am vergangenen Wochenende. Die Liberalen sind seit Monaten in den Umfragen bei vier Prozent festgetackert. gaben sich aber zuversichtlich und selbstbewusst. Parteichef Christian Lindner wollte mit seiner kämpferischen Rede ein Zeichen setzen für den Wahlkampfendspurt. Auch die derzeit obligatorische Absage an eine Zusammenarbeit mit den Grünen durfte nicht fehlen.

Geringe Wahlchancen

Dabei war er es, der als Parteichef des kleinsten Koalitionspartners in den Zeiten der Ampel stets wichtige Entscheidungen blockierte und damit die Regierung lähmte. Das Ganze gipfelte schließlich in dem unwürdigen Schauspiel, das zum endgültigen Scheitern des Bündnisses führte. Der „D-Day“ lässt grüßen. So einen Intrigantenstadl sehen die Wähler selten gern. Die, die am meisten darunter zu leiden haben, sind die einfachen Parteimitglieder vor Ort und die Kandidatinnen und Kandidaten in den Wahlkreisen.

Einer, dessen Wahlchancen durch die Ereignisse der vergangenen Monate sowie dem drohenden Scheitern an der Fünfprozenthürde zusammenschrumpften, ist Martin Gassner-Herz. Der Liberale vertritt den Wahlkreis Offenburg seit 2021 für die FDP. Es könnte ein einmaliges Intermezzo bleiben (wir berichteten). Seine Parteikollegin, die als Kandidatin für den Wahlkreis Emmendingen-Lahr versucht, ein doch noch gutes Ergebnis zu erkämpfen, heißt Eileen Lerche. Für die 28-Jährige ist ein Einzug in den Deutschen Bundestag allerdings noch deutlich unwahrscheinlicher als für Gassner-Herz.

Andere Aspekte wichtig

Während bei dem Schutterwälder mit Landeslistenplatz 10 eine Wiederwahl zumindest nicht ausgeschlossen ist, steht Eileen Lerche aussichtslos auf Platz 25. Die Nachwuchspolitikerin aus Teningen besitzt einen Master in Wirtschaftsingenieurswesen. Sie macht gegenüber dem Ortenau Journal deutlich, dass ihr bei dieser Wahl ganz andere Aspekte wichtig sind: „Es geht mir darum, für die FDP und die Inhalte, die wir vertreten, im Wahlkreis eine Ansprechpartnerin zu sein. Dabei geht es weniger um mich, als vielmehr um ein gutes Ergebnis.“

Inhaltlich steht sie für typisch liberale Ziele wie die Senkung der Unternehmenssteuern und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Spitzenverdiener. Daneben finden sich im Repertoire auch Klassiker wie der Bürokratieabbau. Zu Recht: Als Beispiel nennt sie insbesondere Melde- und Berichtspflichten, wie beispielsweise auch beim „Bürokratiemonster“ Lieferkettengesetz der EU. Außerdem plädiert sie für das Besteller-Prinzip, wonach teure Pflichtaufgaben, die den Kommunen von Land und Bund auferlegt werden, auch von diesen gegenfinanziert werden sollen. Lerche: „Die Kommunen brauchen mehr Gestaltungsspielraum. Dort werden die Herausforderungen gelöst. Berlin weiß nicht, was das Beste für Emmendingen, Teningen oder Lahr ist. Das wissen nur die Leute vor Ort.“

Wertvoller Erfahrungshintergrund

Mit den Anforderungen der Wirtschaft vor Ort ist Eileen Lerche bestens vertraut. Vor ihrem jetzigen Job als Fachreferentin Disposition und Systemsteuerung bei einem regionalen Versorgungsdienstleister arbeitete sie bei einem IT-Dienstleister im Automotive Bereich. Das wäre für die Landkreise Ortenau und Emmendingen, die stark von Mittelständlern im Automobilsektor geprägt sind, sicherlich ein wertvoller Erfahrungshintergrund. Denn nicht nur die Zulieferbetriebe könnten eine starke Lobby aus Teningen im fernen Berlin dringend gebrauchen.

Mindestens genauso dringlich ist die Lösung eines anderen Problems, dass den Wahlkampf 2025 erwartungsgemäß beherrscht. Die Rede ist von der illegalen Migration. Während die Verantwortlichen vor Ort wie Bürgermeister und Landräte die Probleme etwa bei der Unterbringung von Geflüchteten und nicht zuletzt die Bürger bei der Wohnungssuche, in den Schulen und Kitas oder einfach Abends auf dem Nachhauseweg kennen (Stichwort Sicherheitsgefühl), haben die etablierten Parteien das Thema jahrelang gemieden bzw. tabuisiert. Die AfD, die das Thema praktisch in ihrer DNA trägt, profitiert erheblich von der Unzufriedenheit der Bevölkerung.

Kürzungen bei Entwicklungshilfe

Die FDP habe das Thema bereits bei der letzten Wahl im Programm gehabt, sagt Eileen Lerche und nennt eine klare Forderung: „Flucht und Asyl müssen von der Fachkräftezuwanderung organisatorisch und rechtlich besser getrennt und geordnet werden.“ Die Ämter seien überfordert, die Kommunikation zwischen den Behörden schlecht und Abschiebungen würden zunehmend schwieriger werden. Lerche: „Das muss gelöst werden, z. B. durch Digitalisierung der Anträge oder härtere Verhandlungen mit den Herkunftsländern.“ Wer sich weigere, Rückkehrer aufzunehmen, müsse mit Kürzungen bei der Entwicklungshilfe rechnen. Auch der Zugang zu Arbeit und die Integration müssten erleichtert werden.

Zu den Ursachen des Aufstiegs der Rechtsaußenpartei gehört auch das Thema Wokeness. Dies geht u. a. mit der Bevormundung der Mehrheit durch eine kleine, elitäre Gruppe einher und äußert sich beispielsweise darin, dass bestimmte Begriffe wie „Indianer“ nicht mehr verwendet werden sollen, weil er rassistisch sei. Nur leuchtet das kaum jemandem ein. In diesem Zusammenhang schreibt der Autor Yasha Mounk von „radikallinker Empörungsprosa“. Mounk ist der Lieblingsautor von Eileen Lerche, wie sie auf Nachfrage anmerkt. Er gehe die Situation um den Rechtspopulismus analytisch an. Lerche: „Mounk beurteilt die Entwicklungen in der Gesellschaft ohne die „Brandmauer-Brille“.

Streitthemen nüchtern analysieren

Die Gründe für den Rechtsdrall würden in der Unzufriedenheit bei wirtschaftlichen Themen oder den steigenden Preisen, beispielsweise für Lebensmittel und Wohnen liegen. Aber natürlich spiele auch das Thema Migration eine Rolle. Lerche: „Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich durch die Brandmauer auch diejenigen Wähler angegriffen fühlen, die gar nicht rechts sind, sondern lediglich unzufrieden.“

Im Endeffekt sind es Leute wie Eileen Lerche, die für Vielfalt und Funktionsfähigkeit unserer Demokratie einstehen, auch wenn sie praktisch keine Chance hat, in den Bundestag einzuziehen. Gut ausgebildetes Personal mit Berufserfahrung, das die Probleme vor Ort sieht und die gesellschaftlichen Streitthemen nüchtern analysiert, würde der Politikerblase in Berlin gut tun. Vielleicht bleibt sie am Ball und es ergibt sich in vier Jahren eine realistischere Chance aufgrund veränderter Begleitumstände. Aber warten wir doch erstmal den Wahltag ab.

Hier noch das offizielle Statement von Eileen Lerche zu der Situation nach dem Antrag von Friedrich Merz neulich im Bundestag zur Migrationspolitik, der mit den Stimmen der AfD beschlossen wurde:

„Ich verstehe, dass viele Bürgerinnen und Bürger besorgt sind, dass die Rechtsradikalen mehr Einfluss auf die deutsche Politik bekommen könnten. Wir müssen aber auch die Ängste derjenigen wahrnehmen, die sich in unserem Land nicht mehr sicher fühlen. Dafür brauchen wir endlich effektive Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Migration und eine konsequente Abschiebepolitik. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass wir demokratischen Parteien diese Maßnahmen nicht durchsetzen möchten oder können, werden diese erst recht „Lösungen“ am Rand der Demokratie suchen. Meine Sorge ist nicht, dass die AfD für die Vorschläge der CDU/CSU-Fraktion gestimmt hat, sondern dass die anderen demokratischen Parteien den Ernst der Lage nicht erkennen. Wir werden zu jeder Zeit alles in unserer Macht stehende dafür tun, die Rechtsradikalen wieder klein zu bekommen, das hat Herr Dürr (Christian Dürr, FDP-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag, Anm. d. Red.) am Freitag und diese Woche erneut bewiesen.“

Siehe auch:

So stehen die Chancen von Martin Gassner-Herz (FDP) für ein erneutes Bundestagsmandat

Diese Bundestagskandidaten sind die krassen Außenseiter im Wahlkreis Offenburg

AfD-Kandidat Taras Maygutiak geht von Zweikampf mit Johannes Rothenberger aus

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