Die Kita-Krise in Deutschland greift immer mehr um sich und wird zunehmend zum Problem für alle Beteiligten. Erzieherinnen und Erzieher klagen über eine hohe Arbeitsbelastung wegen Personalmangels. So würden laut dem „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung in Deutschland 430.000 Fachkräfte fehlen, wie das Fachportal Human Resources Manager berichtet. Die Folge seien hohe Krankenstände, was wiederum die Belastung des verbliebenen Personals zusätzlich erhöht. Immer häufiger gibt es Einschränkungen des Betreuungsangebots oder Gruppenzusammenlegungen. Dabei gilt seit 2013 einen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung.
Hoher Krankenstand
Erschwerend wirkt sich auch die hohe Teilzeitquote beim Kita-Personal aus. So arbeiten laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung nur 23 Prozent der Fachkräfte in Vollzeit, bei Gruppenleitungen sind es auch nur 39 Prozent. Häufig sind neben der hohen Arbeitsbelastung der Wunsch nach mehr Work-Life-Balance oder eigene Betreuungspflichten dafür ausschlaggebend. Zudem verzeichnen die Kitas einen Krankenstand bei ihren Mitarbeitern von 30 Tagen. In anderen Berufsgruppen sind es 20 Tage. Hauptgründe dafür sind Atemwegserkrankungen, gefolgt von psychischen Erkrankungen.
Doch damit nicht genug: Diese Effekte werden verstärkt von der gestiegenen Zahl an Kindern mit psychischen Auffälligkeiten, die die Betreuerinnen und Betreuer zusätzlich in Atem halten. Ein Teufelskreis. All diese Entwicklungen führen dazu, dass auch die Eltern ihre Berufstätigkeit teilweise einschränken müssen, weil die Betreuung ihrer Kinder häufig nicht gewährleistet werden kann. Unternehmen beziffern den gesamtwirtschaftlichen Schaden einer Stepstone-Studie zufolge aufgrund der mangelnden Betreuungssituation auf 23 Milliarden Euro. Viele Angestellte hätten bereits gekündigt oder ihre Tätigkeit reduziert. Und das vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels in allen Branchen.
Zunehmende Einschränkungen
Auch in der Ortenau ist die Kita-Krise längst angekommen. So wurden laut einem Bericht von Baden Online in der Kita des Stadtteil- und Familienzentrums Oststadt in Offenburg vor zwei Wochen die Öffnungszeiten um zwei Stunden gekürzt, was Eltern vor Probleme bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit stelle. Fabian Fallert, Leiter der Organisationseinheit Marketing und Kommunikation der Stadt Offenburg, räumt auf Anfrage des Ortenau Journals ein, dass durch die Einführung des Offenburger Modells mit der Spielzeitbetreuung durch die Malteser an diesen Standorten eine Reduzierung der Öffnungszeit zwar weitestgehend vermieden werden konnte. Aber: „An den Standorten ohne Spielzeitbetreuung treten deutlich häufiger Betreuungszeitreduzierungen ein.“ Es gelte, so Fallert weiter, dass es bei infektiösen Erkrankungswellen an allen Standorten zu Einschränkungen kommen könne, was jedoch schon immer so gewesen sei.
In den kommunalen Oberkircher Kindertageseinrichtungen wurde laut der Kindergartenbeauftragten Vera Busam der Personalschlüssel generell höher angesetzt als es die Mindestangaben der Aufsichtsbehörden erfordern würden, um qualitative Rahmenbedingungen sicher zu gewährleisten: „So gibt es bei Personalausfall zunächst unterstützend einen kleinen Puffer, um die Fehlzeiten ein Stück weit ausgleichen zu können.“ Dennoch ließen sich Einschränkungen der Öffnungszeiten nicht generell vermeiden. „Auch in den Kindertageseinrichtungen ergeben sich für die pädagogischen Fachkräfte Herausforderungen durch krankheitsbedingte Personalengpässe. Die Teams helfen durch ihren flexiblen Einsatz in den Einrichtungen mit, die Ausfälle ein Stück weit zu kompensieren, damit das gewohnte Betreuungsangebot so gut wie möglich aufrechterhalten werden kann. Dennoch kommt es vereinzelt – vorwiegend am Nachmittag – zu temporären Einschränkungen des Betreuungsangebotes“, so Busam.
Mehr verhaltensauffällige Kinder
Weiteren Belastungen sehen sich die Kita-Betreiber durch die steigende Zahl an verhaltensauffälligen Kindern gegenüber, die das Fachpersonal überfordern und eigentlich eine 1:1-Betreuung bräuchten. Dies führt zu einer weiteren Erhöhung des Krankenstands, viele steigen aus dem Erzieherberuf ganz aus. Vor diesem Hintergrund hatte erst vor wenigen Wochen die Stadt Achern eine Regelung zum Umgang mit solchen Kindern in den städtischen Kitas erarbeitet. Diese reicht bis zum Ausschluss der betroffenen Kindern aus den Einrichtungen, sofern die Eltern nicht kooperieren und beim Landratsamt eine Eingliederungshilfe beantragen würden.
Zunehmende Fälle von verhaltensauffälligen Kindern verzeichnet auch Vera Busam. „Die entsprechende pädagogische Begleitung bringt die Fachkräfte je nach Intensität der erforderlichen Hilfestellungen oftmals an ihre Grenzen. Gegenwärtig werden in den Oberkircher Kindertageseinrichtungen Kinder von zusätzlich eingestellten Integrationsfachkräften betreut.“ Diese Fachkräfte würden von den Trägern oder externen Kooperationspartnern wie der Diakonie eingestellt. Eine Kostenübernahme erfolge jedoch durch den Kreis auf Antrag der Eltern. Busam: „Die Einzelfallentscheidungen werden je nach Resultat der Überprüfung vom Landratsamt bewilligt und die Personalkosten hierfür erstattet.“ Sollten diese Hilfsmaßnahmen in Einzelfällen nicht ausreichen, könne auch in Absprache mit den Beteiligten der Besuch einer speziellen Fördereinrichtung in Betracht gezogen werden.
Individuelle Lösungen
In Oberkirch geht man jedoch noch einen Schritt weiter. So werde die individuelle Begleitung der Kinder von multiprofessionellen Teams als förderlich betrachtet. Die Mitarbeitenden hätten unterschiedliche Ausbildungen bzw. Studiengänge absolviert, sodass sich die Fachkompetenz facettenreich darstelle. „Neben staatlich anerkannten Erzieherinnen und Erziehern arbeiten beispielsweise Kindheits- bzw. Sozialpädagoginnen mit Bachelorabschlüssen, staatlich anerkannte Heilpädagoginnen, staatlich anerkannte Jugend- und Heimerzieherinnen und -erzieher in den Einrichtungen mit“, so Busam.
Fabian Fallert von der Stadt Offenburg bestätigt ebenfalls, dass die Anzahl der Kinder mit psychischen Auffälligkeiten auch dort in den Einrichtungen gestiegen sei: „Die Auffälligkeiten sind sehr unterschiedlich und haben auch eine unterschiedliche Intensität. Ob und wie diese Kinder in unseren Kitas betreut werden können, wird immer im Einzelfall geprüft – maßgeblich ist hier das Wohl des Kindes bzw. das Wohl der Kinder in der Einrichtung. Für eine 1:1-Betreuung sind Kitas in der Regel nicht geeignet.“ Sollte jedoch keine Eingliederungshilfe gefunden werden, würde eine individuelle Lösung angestrebt.
Hohe Standards
Da das Thema Fachkräftemangel und Arbeitsbelastung mit erhöhtem Krankenstand sich auch auf die Unternehmen auswirkt, wenn Beschäftigte ihre Arbeit reduzieren müssen, ergreifen manche Arbeitgeber bereits eigene Maßnahmen wie die Organisation einer Notbetreuung oder betreiben Betriebskindergärten. Einen solchen plant beispielsweise die Koehler Paper Group in Kooperation mit der Stadt Oberkirch. Auch flexible Arbeitszeiten können dazu beitragen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten.
Von staatlicher Seite muss man sich fragen, warum es für ausländische Fachkräfte immer noch so kompliziert ist, eine Anerkennung für die in der Heimat erlangten Qualifikationen und Abschlüsse zu bekommen, wenn diese grundsätzlich bereit sind, in Deutschland zu arbeiten. Auch bei Programmen wie dem Direkteinstieg Kita des Landes Baden-Württemberg werden an die Quereinsteigerinnen sehr hohe Anforderungen gestellt, so dass viele schon im Vorfeld durchs Raster fallen. Bleibt die Frage, ob sich die formal sehr hohen Standards bei der Ausbildung in Deutschland auf Dauer aufrecht erhalten lassen, wenn man die geschilderte Gesamtsituation zugrunde legt und ob nicht die Qualität schon deswegen in der Praxis höher wäre, wenn genügend Personal für eine Entspannung der Arbeitssituation sorgen würde.
Wolfgang Huber
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
2024 | Ortenau Journal – Das Nachrichtenportal für die Ortenau