„Zeig‘ mir deine Jugend und ich sage dir, in welcher Gesellschaft du lebst” – Jugendliche sind wie ein Seismograph für die Stimmung in der Bevölkerung. Daher ist es essenziell, die Lebenswirklichkeit, Wünsche und Befindlichkeiten von Jugendlichen zu kennen und die Jugendpolitik daran auszurichten. Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport befragt Jugendliche in regelmäßigen Abständen und hat 2024 in Zusammenarbeit mit der Universität Stuttgart die 7. Jugendstudie durchgeführt.
Ambivalentes Verhältnis zur politischen Teilhabe
Mithilfe sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden hat die Universität umfassende Einblicke in die Lebensrealitäten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 14 bis 17 Jahren herausgearbeitet. Zentrale Themen wie psychische Gesundheit, gesellschaftliche Beteiligung, politisches Interesse sowie der Stellenwert von Bildung und digitalen Medien und viele mehr werden in der Studie beleuchtet. Zwei Themen würden dabei besonders hervorstechen: die mentale Belastung junger Menschen sowie ihr ambivalentes Verhältnis zur politischen Teilhabe.
Die Ergebnisse zeigen: Ein Großteil der Jugendlichen fühlt sich psychisch stark unter Druck. Studienautorin Prof. Susanne Vogl, Professorin für Soziologie, sagt: „Die Präsenz von Krieg- und Terrorgefahren, kombiniert mit Zukunftsängsten und gesellschaftlichen Krisen, führen zu einer hohen mentalen Belastung der Jugendlichen.” Fast zwei Drittel der Befragten hätten von häufiger Überforderung berichtet. Dabei würden sie sich nicht nur mehr Unterstützung, sondern auch gesellschaftliche Anerkennung für ihre Sorgen wünschen.
Rolle der Pandemie-Maßnahmen
„Wir beobachten seit der Corona-Pandemie, dass die Sorgen und Zukunftsängste bei Jugendliche zunehmen. Wir steuern gezielt dagegen”, wird Kultusministerin Theresa Schopper zitiert. Neben dem erfolgreichen Programm „Lernen mit Rückenwind“ bestehe beispielsweise im System der Schulpsychologischen Dienste in Baden-Württemberg mit 194 Planstellen und mit rund 1.600 Beratungslehrkräfte an den Schulen ein dichtes Netzwerk an Unterstützung.
Allerdings werden in der Pressemitteilung nicht die Rolle der Pandemie-Maßnahmen wie Lock Downs und Schulschließungen sowie die monatelange Unterbindung von persönlichen Begegnungen erwähnt. Diese längeren Phasen der Isolierung hatten allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge schwerwiegende Folgen für die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nach sich gezogen. Inzwischen werden die damaligen Maßnahmen auch von vielen Politikern – noch etwas zaghaft – als völlig überzogen bezeichnet. An einer Aufarbeitung des politischen Handelns während der Pandemie scheinen die Verantwortlichen jedoch kein Interesse zu haben.
Soziale Ungleichheit ist ein Thema
Obwohl gesellschaftliche und politische Themen bei jungen Menschen einen hohen Stellenwert genießen, zweifeln viele an ihrer Möglichkeit der Einflussnahme. Die Beteiligungsbereitschaft sei vorhanden, doch es fehle das Vertrauen in politische Institutionen. Klimawandel, Bildungsgerechtigkeit und soziale Ungleichheit seien drei der Themen, die die Jugendlichen bewegen. Zwar befürworten die Jugendlichen in Baden-Württemberg demnach die Demokratie als Staatsform, sind aber – unabhängig von der Schulform, dem Geschlecht oder anderen sozioökonomischen Merkmalen – mehrheitlich mit der aktuellen Politik unzufrieden.
Eine Folge ist das gleichzeitig sinkende Vertrauen in repräsentative Institutionen. 57 Prozent der Befragten hätten kein oder wenige Vertrauen in Politiker. Dies sei laut Professor Dr. André Bächtinger eine deutliche Verschlechterung gegenüber den 42 Prozent, die die Jugendstudie von 2022 hervorbrachte. Für Kultusministerin Theresa Schopper ein klares Zeichen in Richtung Politik, das Vertrauen der Jugendlichen zurück zu gewinnen: „Diesen beunruhigenden Entwicklungen treten wir entschieden entgegen, indem wir unsere Aktivitäten rund um die Jugendbeteiligung stark ausbauen. Junge Menschen sollen mitgestalten und ihre Stimme zählt!”
Praktische Beispiele
Bei den Jugendkonferenzen und der Landesjugendkonferenz werde die Jugend aktiv in den Meinungsbildungsprozess einbezogen. Damit gehe das Kultusministerium in Baden-Württemberg ganz neue Wege. Der Nachwuchs soll so aus der passiven Rolle herausgeholt werden und aktiv mitgestalten. Auch der neu gegründete Landesjugendbeirat werde sich künftig aktiv am politischen Prozess beteiligen.
„Demokratisches Verständnis braucht immer auch das Anwendungsbeispiel im direkten Umfeld. So entsteht das Gefühl, eine eigene Wirksamkeit entfalten zu können”, sagt Kultusministerin Theresa Schopper. Schülerinnen und Schüler sollen zu aktiver Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen, kritischem Denken und verantwortungsvollen Handeln befähigt werde, in dem das Kultusministerium die Demokratiebildung zu stärken versucht.
Kompetenz in Geldfragen
Zentrale Erkenntnisse aus der Jugendstudie ergaben die Wichtigkeit von Themen wie Familie, Gesundheit und Freundschaft. Im Umgang mit Geld schätzt sich die Jugend als kompetent ein. Während längst bekannt ist, dass digitale Medien den Alltag der Jugendlichen prägen. Doch neu ist, dass das Bedürfnis nach analoger Begegnung wächst. Ca. die Hälfte habe sich bereits Gedanken über die berufliche Zukunft gemacht. Das Bildungsziel der Jugendlichen sei abhängig vom bereits gewählten Bildungsweg und stimme mit diesem mehrheitlich überein. Außerdem werde Bildung als Schlüssel zur Chancengleichheit gesehen, insbesondere bei Jugendlichen mit Migrationsgeschichte.
Mehr gesellschaftlicher Rückhalt nötig
Fazit: Die Jugend in Baden-Württemberg ist laut der Studie interessiert, engagiert und bereit zur Mitgestaltung. Sie brauche jedoch mehr gesellschaftlichen Rückhalt, neues Vertrauen in politische Institutionen, psychische Entlastung und konkrete Beteiligungsmöglichkeiten. Jungen Menschen müsse zugehört werden. Außerdem sei es an der Zeit, sie in die ihre Zukunft betreffenden Entscheidungen einzubinden. Mit der Stärkung der Demokratie- und Medienbildung, der Intensivierung der Beruflichen Orientierung und den Aktivitäten rund um die Jugendbeteiligung versucht das Kultusministerium, das Vertrauen bei den Jugendlichen zurückzugewinnen.
Die siebte Jugendstudie Baden-Württemberg wird vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport finanziert und wurde im Frühjahr 2024 vom Institut für Sozialwissenschaften und dem Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Stuttgart durchgeführt. Befragt wurden mehr als 2000 Schülerinnen und Schüler aus 86 Schulen aller Schularten anhand eines ausführlichen Fragebogens.
red/Wolfgang Huber
Das könnte dich auch interessieren:
Erwartungen der GenZ: Arbeitgeber müssen handeln
Wie die Ortenauer Gastro-Szene die GenZ für eine Ausbildung begeistern kann
Shell-Jugendstudie: GenZ ist überwiegend mit Demokratie zufrieden
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
2025 | Ortenau Journal – Das Nachrichtenportal für die Ortenau