Editorial

Klimaziele vs. Naturerhalt: Wie viel Eingriff verträgt der Schwarzwald?

Chefredakteur Wolfgang Huber
© Bild: FLM design + creative/Ortenau Journal
Im Zuge des von staatlicher Seite und Investoren forcierten Ausbaus der Windenergie, auch in Waldgebieten der Ortenau, ist die Debatte über deren Vor- und Nachteile neu entflammt. Kritiker bemängeln die Eingriffe in die Natur während die Befürworter den Klimaschutz ins Feld führen. Wir vom Ortenau Journal wollen das Thema etwas näher betrachten, und zwar im Sinne der Ausgewogenheit von beiden Seiten. Letzten Endes muss sich jeder eine eigene Meinung bilden.

Seit gut 35 Jahren beschäftige ich mich nun mit dem Klimawandel. Für mich war jahrzehntelang klar, dass im Zuge der weltweiten Energiewende an einem massiven Ausbau der Windenergienutzung kein Weg vorbei führt. Wahrscheinlich gilt das auch heute noch. Doch wenn man die aktuell auch gerade im Ortenaukreis leidenschaftlich geführte Diskussion um dieses Thema genauer betrachtet, ploppen zumindest ein paar Fragezeichen auf.

„Ein Irrsinn, Bäume zu fällen“

Zwar bezweifelt kaum jemand die Vorteile von Windkraft gegenüber der Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen. Doch wenn es darum geht, Windräder und ganze Windparks inmitten von Waldgebieten des Schwarzwalds aufzustellen, scheiden sich die Geister. Während die eine Seite auf die Wirtschaftlichkeit und positive CO2-Bilanz von Windenergie hinweist, hält eine hartnäckige Bewegung von Gegnern die Eingriffe in die Natur durch Rodungen und Lärm für zu gravierend, oder wie die Leserbriefschreiberin Michaela Winkler es im Ortenau Journal ausdrückte: „Es ist ein Irrsinn, Bäume zu fällen und Wälder zu roden. Und zwar egal, wo!“

Grundsätzlich muss ein Journalist bei Themen jedweder Art immer beide Seiten beleuchten. So auch bei der Frage nach der Windkraft im Wald. Einseitige Parteinahme verbietet sich. Das versuchen wir auch in unserem Online-Magazin so umzusetzen. Neu aufgeflammt war die ganze Diskussion vor rund drei Wochen, als praktisch alle Ortenauer Medien, uns eingeschlossen, die Meldung vom Spatenstich für den Windpark Hummelsebene verbreiteten. Die Windparkgegner starteten eine mediale Gegenoffensive, die auch das Ortenau Journal erreichte. Tagelang wurde die als „PR-Gag“ gebrandmarkte Aktion der Stadtwerke sowie der Stadt Oberkirch und der Gemeinde Durbach kritisiert.

Klimaschutz vs. Naturschutz

Für mich war das Anlass genug, das Thema etwas hintergründiger zu behandeln, wofür wir als kleines Online-Magazin nicht immer die Kapazitäten haben. Zum einen betrachten wir den Komplex aus der „offiziellen“ Sicht der Kommunen und der grün geführten Landesregierung, zum anderen aber aus Sicht der Naturschützer. Schließlich verengt sich die Debatte ja auf die Frage, was schwerer wiegt, Klimaschutz oder Naturschutz. Allerdings nicht mit dem Ziel, für uns eine endgültige Wahrheit zu formulieren, sondern um beiden Seiten Denkanstöße zu liefern.

Zunächst lies ich die Gegner des Projekts zu Wort kommen in Form des angesprochenen Leserbriefs. Als zweiten Schritt führte unsere Mitarbeiterin Pauline Schwarzwälder ein Interview mit Dr. Diana Kohlmann, Dezernentin des Ortenaukreises für den ländlichen Raum und dem ersten Landesbeamten Dr. Nikolas Stoermer, die sich grundsätzlich für die Klimaziele und den Windkraftausbau an „sinnvollen Standorten“ aussprechen, aber auch die Beeinträchtigung des Ökosystems und schwindende Lebensräume konstatierten.

Finanzielle Motive

Diese Eingriffe in die Kulturlandschaft und das Ökosystem des Schwarzwalds werden wir dann auch im nächsten Schritt thematisieren und einige der von den Projektgegner ins Feld geführten Argumente auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen. Eines davon ist neben diesen Eingriffen die Einschätzung, dass Windparks im Schwarzwald dem Tourismus schaden würden, zum anderen werden den Ausbaubefürwortern rein finanzielle Motive unterstellt.

Genauso wie jahrzehntelang die Kohle-, Öl und Gasindustrie milliardenschwere Profite einfuhr, werden auch Investoren im Bereich erneuerbare Energien auf die Rentabilität ihres Engagements achten. Das ist in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung nun mal so und auch der Wind- und Solarenergieausbau funktioniert nur über die üblichen Marktmechanismen, im Zusammenspiel mit Förderung und der Gestaltung der Rahmenbedingungen seitens der Politik. Die Frage ist, was im Sinne einer intakten Umwelt sinnvoller ist.

Weltweites Thema

Im Leserbrief verweist Michaela Winkler darauf, dass unter dem Deckmantel „Klimaschutz“ weltweit Wälder mit einzigartiger Flora und Fauna für Windindustrieanlagen zerstört werden. Alleine in North Queensland in Australien seien 29.000 Hektar Regenwald betroffen. Ihrer Meinung nach werden Bürger überall entmündigt, hintergangen und bewusst mit falschen oder verklärten Informationen hinters Licht geführt. Sie zieht diese Sichtweise aus dem teils intransparenten Behördendschungel mit „Gefälligkeitsgutachten“. Am Ende muss sich jeder selbst eine Meinung bilden.

Eine solche hat längst der international renommierte Künstler und Wissenschaftler Tim Otto Roth aus Oppenau, der sich vor einigen Wochen bei uns im Interview dazu äußerte: „Da sehe ich wesentlich gravierendere Probleme für die Kulturlandschaft Schwarzwald. Und das macht mir wirklich Sorgen, weil ich das schon von Kindheit an verfolge, wie dieser Schwarzwald, in dem ich aufgewachsen bin, so langsam am Verschwinden ist. In dem Kontext stören mich die Windräder oben auf dem Berg marginal. Das hindert den Schwarzwald überhaupt nicht daran, dass in den Tälern die Mager- und Streuobstwiesen allmählich zuwachsen.“

Wir werden die Berichterstattung zu dem Aufregerthema jedenfalls fortführen und hoffen, dass wir unserem Anspruch gerecht werden, sorgfältig recherchierte Informationen bieten zu können. Ob ich dabei meine persönlichen Standpunkte revidieren muss oder sich diese bestätigen, ist dabei völlig unerheblich.

Siehe auch:

„Wir im Ortenaukreis stehen zu Windenergie an sinnvollen Standorten“

Hummelsebene: „Überall werden Bürger entmündigt… und hinters Licht geführt“

Windpark Hummelsebene bringt weiteren Schub für die Energiewende

Tim Otto Roth: „In der Stunde Null stand hier so gut wie kein Baum mehr“

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