Praktisch täglich sorgt die Bundesregierung mit neuem Streit für Spannung im politischen Berlin. Um jedes Thema wird gerungen, anstatt an einem Strang zu ziehen. Wie auch bei den derzeit laufenden Haushaltsverhandlungen. Bei den Wählerinnen und Wählern kommt das nicht gut an. Die Umfragewerte der Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP befinden sich seit zwei Jahren im Sinkflug. Auch Unternehmen und Verbände fordern ein klares Aufbruchsignal, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Zuletzt hatten Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner mit zwei parallel verlaufenen Industriegipfeln für neuen Zwist in der Ampel gesorgt. Im Exklusiv-Interview mit dem Ortenau Journal spricht der FDP-Bundestagsabgeordnete Martin Gassner-Herz, der in Berlin erst seit 2021 den Wahlkreis Offenburg vertritt, über den Dauerstreit, die Rahmenbedingungen für mehr private Investitionen sowie den Umbau des Sozialstaats. Den Bruch der Koalition sieht er noch nicht gekommen.
Ortenau Journal: Von Anfang an streiten sich die drei Ampel-Koalitionäre dauernd über so ziemlich jedes Vorhaben. Das wirkt sich auf das Image der Bundesregierung aus. Es ist die unbeliebteste Bundesregierung überhaupt. Welchen Anteil an dem Dauerstreit hat die FDP?
Martin Gassner-Herz: Es geht halt auch um was. Wir erleben schwierige Zeiten, sowohl weltpolitisch, als auch wirtschaftspolitisch. Unsere Demokratie steht unter Druck. Da muss man hart in der Sache miteinander ringen. Allerdings würde ich mir manchmal wünschen, dass man anständiger miteinander streitet. Ich glaube nicht, dass es hilft, die Schuld bei einem Einzelnen zu suchen. Es ist völlig legitim, dass drei unterschiedliche Parteien, die unterschiedliche Ziele haben, auch miteinander um die besten Lösungen ringen. Es ist Aufgabe in der Demokratie, die Unterschiede darzustellen in der Sache. Im Stil und im Ton könnte es ein bisschen besser laufen.
Ortenau Journal: Wolfgang Kubicki, ihr Parteikollege, hat ja im Zusammenhang mit dem Industriegipfel von Kanzler Olaf Scholz diesen indirekt als Dilettanten bezeichnet. Das ist natürlich nicht besonders hilfreich.
Martin Gassner-Herz: Das wäre nicht meine Wortwahl.
Ortenau Journal: Deutschland braucht eine Investitionsoffensive für Infrastruktur, Bildung, Sicherheit, Innovationsförderung u.v.m. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen aber nicht aus. Trotzdem pocht die FDP auf die Einhaltung der Schuldenbremse. Spart sich das Land da nicht kaputt?
Martin Gassner-Herz: Der Staat kann ja die Wirtschaft nicht mit Steuergeldern am Laufen halten. Es ist genau andersherum. Wir brauchen eine funktionierende Wirtschaft, um Steuergelder zu generieren. Über 90 Prozent der Investitionen im Land kommen von Privaten. Der Staat muss für investitionsfreundliche Rahmenbedingungen sorgen. Und es ist ja nicht so, dass wir einen Sparhaushalt hätten bei knapp 50 Mrd. Neuverschuldung.. Die Einhaltung der Schuldenbremse ist ja kein Privatanliegen der FDP. Wir wollen uns ans Grundgesetz halten. Und in diesem Rahmen geben wir Rekordsummen für Investitionen aus. Die These, dass wir das Land kaputt sparen, teile ich nicht. Die meisten Investitionen müssen wie gesagt von Privat kommen und der Staat muss dafür sorgen, dass die auch Spaß daran haben.
Ortenau Journal: Wobei natürlich Infrastruktur, Bildung oder Sicherheit schon staatliche Aufgaben sind.
Martin Gassner-Herz: Das stimmt, aber genau in diesen Bereichen geben wir ja Rekordsummen aus. Wir haben mehr Personal bei den Sicherheitskräften des Bundes eingestellt. Wir haben ein Sondervermögen für die Bundeswehr aufgelegt, weil Deutschland verteidigungsfähig sein muss. Im Bereich Bildung haben wir mit dem Startchancen-Paket das größte Bundesprogramm aufgelegt mit 20 Milliarden Euro. Gezielt für Brennpunktschulen. Und für die Infrastruktur geben wir auch einen Haufen Geld aus. übrigens haben wir bei der Bahn auch die Sanierungsmodalitäten umgestellt. Man sieht gerade bei der Riedbahn, dass es vorwärts geht. Im Bereich der Energieinfrastruktur geht es auch voran. Also dass da nichts passiert, ist ein falscher Eindruck.
Ortenau Journal: Die Wirtschaft klagt über schlechte Standortbedingungen. Als Hindernis werden immer wieder die Unternehmenssteuern, die Energiepreise oder die Bürokratie genannt. Wie sieht das Konzept der FDP für einen wirtschaftlichen Aufschwung aus? Wo würden sie ansetzen?
Martin Gassner-Herz: Genau an diesen Punkten. Wir brauchen bezahlbare, verlässliche Energiepreise. Außerdem brauchen wir Zugang zu gut ausgebildeten Fachkräften. Wir müssen zusehen, dass wir den ganzen Zuwachs in den letzten Jahrzehnten an Berichtspflichten und Bürokratie wieder zurückdrehen. Da hat die Bundesregierung auch schon vieles getan. Zuletzt haben wir das Bürokratieentlastungsgesetz 4 verabschiedet, das erst noch seine Wirksamkeit entfalten muss. Bei den Energiekosten haben wir die Stromsteuer auf das Mindestmaß gesenkt. Es geht schon in die richtige Richtung, wenn auch noch mehr zu tun ist. Aber nicht nur vom Bund. Viel Bürokratie kommt auch aus Brüssel. Da muss auch was passieren, wenn man an das Lieferkettengesetz denkt. Das deutsche Lieferkettengesetz muss gestoppt und ausgesetzt werden und beim europäischen muss das auch passieren. Dieses Gesetz füllt Ordner mit Zetteln, macht aber die Welt dadurch nicht besser.
Ortenau Journal: Die Ampel steht nach den parallelen Wirtschaftsgipfeln von Olaf Scholz und Christian Lindner einmal mehr vor einer Zerreißprobe. So lässt sich ja keine Aufbruchstimmung erzeugen. Wäre es aus ihrer Sicht jetzt ein günstiger Moment, die Koalition zu verlassen?
Martin Gassner-Herz: Sie sagen Aufbruchstimmung. Das ist genau das, was wir erreichen müssen. Wie ich schon sagte: Private müssen wieder Spaß daran haben, zu investieren. Die Wirtschaftspolitik muss da die richtigen Signale setzen. Das ist auch etwas Psychologie. Es gilt, in schwierigen Zeiten die Ärmel hochzukrempeln, aufzustehen und voranzugehen. Und dazu braucht man ein zuversichtliches, frohes Gemüt. Das wäre jetzt schon ganz wichtig.
Ortenau Journal: Die FDP dümpelt in den Umfragen derzeit bei drei oder vier Prozent herum. Die Frage ist, ob wegen der Oppositionshaltung innerhalb der Regierung oder trotz dessen. Glauben sie, dass ein Ausstieg aus der Ampel der FDP wieder bessere Umfragewerte bescheren würde?
Martin Gassner-Herz: Wir haben die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das Land wieder ins Laufen kommt. Und wenn wir das schaffen, mache ich mir um meine Partei keine Sorgen.
Ortenau Journal: Sie sind also für einen Verbleib in der Ampel?
Martin Gassner-Herz: Ich bin dafür, dass wir die Probleme gelöst bekommen. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung. Und wenn das gelingt, dann besteht die Ampel fort.
Ortenau Journal: Die Frage ist nur, ob die Wirtschaft und die Bevölkerung der Ampel noch zutrauen, die Problem zu lösen. Das ist ja der neuralgische Punkt.
Martin Gassner-Herz: Es geht ja nicht ums Zutrauen, sondern es geht ums Machen. Wir brauchen strukturelle Verbesserungen. Denn nur, wenn die Wirtschaft wieder ins Laufen kommt, werden wir einen verfassungskonformen Haushalt aufstellen können. Eine Regierung braucht einen Haushalt.
Ortenau Journal: Mit welchen Schwerpunkten wollen sie in den nächsten Bundestagswahlkampf ziehen? Sie sind ja Familienpolitiker.
Martin Gassner-Herz: Ein Riesenschwerpunkt wird sein, dass wir Reformen brauchen bei allen sozialen Sicherungssystemen. Der Reformdruck ist enorm und seit der Agenda 2010 wurde da nichts mehr angefasst. Wir geben im Bereich Soziales unglaublich viel Geld aus und sind trotzdem in vielen Bereichen nicht so leistungsfähig, wie wir es sein sollten. Es wird viel Mühe und Anstrengung kosten, dass wir mit weniger Geld einen besseren, zielgenaueren Sozialstaat hinbekommen. Die Probleme der Leute müssen unkomplizierter gelöst werden.
Ortenau Journal: Wo genau würden sie im Sozialbereich den Hebel ansetzen?
Martin Gassner-Herz: Die ganzen Systeme, die wir haben, sind schlecht aufeinander abgestimmt. Ich verhandle ja auch die Kindergrundsicherung. Das ist ja der Grundgedanke, die verschiedenen Leistungen besser abzustimmen und wenn dann jemand in Not ist, er auch die passenden Stellen findet. Die Schnittstellen müssen vereinfacht werden. Es müssen vernünftige digitale Angebote geschaffen werden. Ein Beispiel aus dem Bereich Kindergrundsicherung: Es gibt viele Familien, die über ein Einkommen verfügen, wo nicht ganz klar ist: bekommen sie Wohngeld, Kinderzuschlag oder Bürgergeld? Das führt dazu, dass die Leute Anträge bei drei Behörden stellen und überall die gleichen Unterlagen einreichen müssen, weil die die Unterlagen nicht untereinander austauschen dürfen. Und am Schluss zahlt eh nur eine Stelle Leistungen aus. Das ist doch völlig absurd, dass man die Leute von Pontius zu Pilatus schickt und Behörden dreifachen Aufwand haben. Das muss besser werden. Und dann haben wir weniger Geld in den Sozialsystemen ausgegeben, ohne dass die Leistungen schlechter werden. unter dem Strich wird es auch noch bürgerfreundlicher.
Ortenau Journal: Also eine Verschlankung der Strukturen.
Martin Gassner-Herz: Genau, es kann sogar sein, dass es dazu größere Schritte braucht. Dass man sich da noch Gedanken über die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern machen muss. Da braucht es vielleicht eine Grundgesetzänderung. Das ist alles nicht mehr im nächsten Jahr zu schaffen. Aber es wurden einfach zu lange die Augen verschlossen vor den ganzen Problemen, die durch den demographischen Wandel auf uns zukommen. Das schnürt uns in unserer Handlungsfähigkeit ein, weil es den Haushalt versteinert. Wir sind da nicht mehr zukunftsfähig. Das ist eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode, uns da zukunftsfit zu machen.
Ortenau Journal: Die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine bekommen Bürgergeld. Das wurde vielfach kritisiert. Wird dadurch der Etat auch aufgebläht?
Martin Gassner-Herz: Es hätte auch keinen Sinn gemacht, alle durch eine Asylprüfung zu schicken, wo ja klar ist, dass die nicht politisch verfolgt, sondern eben Kriegsflüchtlinge sind. Das wäre auch nicht gut gewesen. Ob man da einen zusätzlichen Status zwischen Bürgergeld und Asylbewerberleistungen braucht, also eigene Regelungen für subsidiär Schutzbedürftige, muss man sehen.
Interview: Wolfgang Huber
Siehe auch: FDP Ortenau: Martin Gassner-Herz kandidiert erneut für den Bundestag
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
2024 | Ortenau Journal – Das Nachrichtenportal für die Ortenau