Von Wolfgang Huber
Seit dem Parteiaustritt von Sarah Wagenknecht mit einer Gruppe weiterer Bundestagsabgeordneter im Januar 2024 galt die verbliebene Gruppe der Partei „Die Linke“ im Parlament als aussterbende Spezies. Schon zuvor dümpelte die Partei in den Umfragen bei drei oder bestenfalls vier Prozent herum. Die Frage war, wer die Partei des alternden Politik-Stars Gregor Gysi führen soll und wie sie das politische Überleben sicherstellen will. Mit Sarah Wagenknecht, die danach ihr eigenes Bündnis (BSW) gründete, verlor die Ex-SED-Partei ja ihre einzige verbliebene Gallionsfigur.
Wendepunkt „Brandmauer-Rede“
Als dann die Ampel im November 2024 auseinanderbrach und Neuwahlen auf den 23. Februar 2025 terminiert wurden, schien es mit der Parlamentszugehörigkeit in Berlin endgültig bald vorbei zu sein. Es drohte die Bedeutungslosigkeit. Bis zu jenem denkwürdigen Auftritt am 29. Januar im Bundestag, als die Co-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek zu ihrer Brandmauer-Rede als Reaktion auf die gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD ansetzte und mit den Worten „Auf die Barrikaden“ schloss.
Das dazugehörige Video ging in den sozialen Medien TikTok, YouTube und Instagram viral und wurde allein in den darauffolgenden Tagen 30 Millionen mal angesehen. Galt bisher die AfD als uneinholbarer Spitzenreiter in Sachen Social-Media-Performance, hat die Partei von Alice Weidel nun einen ernsthaften Konkurrenten im Kampf um die Aufmerksamkeit vor allem jüngerer Wählerschichten. Seither geht es auch in den Umfragen für die Partei „Die Linke“ steil bergauf.
Umfragen-Höhenflug
Ausgehend von rund drei Prozent stiegen die Werte je nach Institut auf zunächst fünf und inzwischen auf bis zu sieben Prozent. Bei YouGov wird die Partei (früher SED und PDS) aktuell sogar mit neun Prozent (!) eingeordnet. Gerade die Jugend wendet sich der Partei zu: Bei den jüngst veröffentlichten Ergebnissen der U18-Testwahl steht die Linke sogar mit rund 20 Prozent an der Spitze, deutlich vor der AfD mit rund 15 Prozent. Diese Entwicklung bringt natürlich eine frische Brise in den etwas eingefahrenen Bundestagswahlkampf und für viele Kandidatinnen und Kandidaten der Linken ergeben sich plötzlich und unverhofft neue Chancen.
Eine davon ist Amelie Vollmer. Die Kandidatin im Wahlkreis Offenburg, die wir vom Ortenau Journal noch Mitte Januar als „krasse Außenseiterin auf ein Bundestagsmandat“ abgestempelt hatten, hat urplötzlich eine nicht mal völlig abwegige Aussicht, in den nächsten Deutschen Bundestag einzuziehen. Die 21-Jährige, die auch Kreissprecherin des Kreisverbands Ortenau ihrer Partei ist, bleibt im Gespräch mit dem Ortenau Journal dennoch zurückhaltend: „Meine Chancen sind nach wie vor eher gering. Ich stehe auf Platz Sieben der Landesliste. Die Linke müsste 11-12 Prozent erreichen, damit ich reinkommen würde.“
Ab elf Prozent steigen die Chancen
Dabei beziehe sie sich auf die neun Prozent bei der YouGov-Umfrage vom 16. Februar. Heißt: Nötig wären bundesweit elf Prozent der Stimmen beim Urnengang am 23. Februar. Vollmer: „Natürlich sind meine Chancen besser als bei manchen anderen Kandidaten im Wahlkreis Offenburg.“ Das Video von Heidi Reichinneks´ Rede im Bundestag habe Wellen geschlagen. Doch das sei nicht der einzige Grund für den derzeitigen Aufschwung. Kurz nach dem Austritt von Sarah Wagenknecht habe es bereits eine Eintrittswelle von neuen Mitgliedern gegeben. „Seit diesem Jahr sind die Zahlen durch die Decke gegangen. Wir hatten heute unseren 200. Eintritt in der Ortenau. Das ist eine Verdoppelung im Zeitraum von einem Viertel Jahr“, so Vollmer.
Wirklich überrascht sei sie von den gestiegenen Umfragewerten angesichts der Mitgliederentwicklung daher nicht. Sollte nun Die Linke anstatt das BSW als Fraktion in den Bundestag einziehen, könne sie sich persönlich eine gewisse Schadenfreud natürlich nicht verkneifen. „Ich möchte mich aber nicht am BSW abarbeiten. Das ist eine Partei, bei der es opportunistisch nur um Macht geht – wie bei fast allen anderen Parteien auch.“
Bezahlbare Mieten als Hauptanliegen
Auf Social Media setze sie auch im Wahlkampf vor Ort. Dort würden vor allem Wahlkampftermine bekannt gegeben. Die Leute kämen oft aufgrund von Postings in Instagram zu den Veranstaltungen. Und was bundesweit funktioniere, kann auch in der Prärie erfolgreich sein. „Vor ein paar Wochen habe ich auf Instagram ein Video hochgeladen als Mobilisierungsmaßnahme für eine Kundgebung für bezahlbaren Wohnraum. Da sieht man mich beim Holzhacken. Das Video wurde über 8.000 mal aufgerufen“, sagt Vollmer nicht ohne Stolz.
Ein weiterer Grund für den Aufschwung der Linksaußenpartei sei der Haustürwahlkampf. So hat die Linke immerhin bundesweit schon 50.000 mal an Wohnungstüren geklingelt. Derlei Hausbesuche wurden laut Amelie Vollmer schon vor und jetzt auch während des Wahlkampfs auch in der Ortenau durchgeführt: „Wir haben die Leute aber nicht gebeten, uns zu wählen. Sondern wir haben sie gefragt, was denn ihre drängendsten Probleme sind. Die Ergebnisse haben wir ausgewertet und unser Bundeswahlprogramm daran orientiert und entwickelt.“ Die am häufigsten genannten Anliegen der Menschen seien die hohen Mieten und die gestiegenen Lebensmittelpreise.
Leib- und Magenthema
Bereits im Juni 2024 habe die Linke in Baden-Württemberg einen Volksentscheid mit dem Titel „Mieten runter“ angestrengt und fünf zentrale Forderungen, unter anderem nach einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft gestellt. „Dass die Mieten zu hoch sind, sagt eigentlich jeder, mit dem wir sprechen. Auch in Offenburg, das nicht mal eine Großstadt ist“, sagt Vollmer. Der Bau von deutlich mehr Sozialwohnungen müsste oberste Priorität bei der öffentlichen Hand genießen.
Eine weitere Forderung ist die dauerhafte Sozialbindung. Sozialwohnungen dürften nicht verkauft werden. „Wohnraum ist keine Ware. Jeder verdient ein sicheres und warmes Zuhause für sich uns seine Familie.“ Die Linke wolle auch die Immobilienkonzerne in die Verantwortung nehmen und notfalls in die öffentliche Hand überführen. Spekulationen mit leerstehendem Wohnraum müsse unterbunden werden. Es ist das Leib und Magenthema von Amelie Vollmer und stellt eine Bedrohung des ohnehin wackeligen gesellschaftlichen Friedens dar.
Forderung nach Kriegsende
Auch beim Thema Ukraine-Krieg, der durch die in Europa umstrittene Initiative von US-Präsident Donald Trump eine unerwartete Wendung nehmen könnte, vertritt Die Linke eine zur offiziellen Linie konträre Position. Laut Vollmer könne der Krieg nicht durch Aufrüstung und weitere Waffenlieferungen beendet werden. Sie teile die Haltung ihrer Partei, auf Verhandlungen und Diplomatie zu setzen. Vollmer: „Da müssen wir endlich ran, dass wir Russland und die Ukraine an den Verhandlungstisch bringen. Die Rolle von Donald Trump sehe ich dabei nicht positiv. Alle wissen, dass auf diesen gefährlichen Mann überhaupt kein Verlass ist.“
Die Aktion „Silberlocke“ mit den drei älteren Kandidaten Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow begrüße sie. Der Plan dahinter: Wenn die drei Herren noch einmal ein Direktmandat erringen könnten, wäre die Linke aufgrund einer Sonderregelung auf jeden Fall im Parlament, zumindest als Gruppe vertreten. Gerade Gregor Gysi habe immer wieder bewiesen, wie rhetorisch stark er sei. Die Linke habe aber außer den dreien noch weitere aussichtsreiche Kandidaten. Auch die Vorsitzende Ines Schwerdtner habe gute Chancen, gewählt zu werden, ebenso Ferat Kocak in Berlin-Neukölln, der laut Vollmer derzeit die Nase vorn hat.
Generationenwechsel
Durch die hohe Zahl an Neueintritten hat die Partei auch ganz neue Optionen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. So seien unter den Neumitgliedern viele junge Frauen. Auch im Kreisverband Ortenau habe es bei der letzten Vorstandswahl im November einen klaren Generationswechsel gegeben. Das Durchschnittsalter liegt nun der Kandidatin zufolge bei sensationell niedrigen 20 Jahren. Erste Erfolge hat es dabei auch schon gegeben. Ihr zufolge gelang es der verjüngten Partei 2024 auf Anhieb mit der erst 18-jährigen Sarah Wiedmann eine Offenburger Gemeinderätin zu stellen.
Dennoch bleibt Amelie Vollmer realistisch: „Die Ortenau ist sehr konservativ. Auch wenn wir einen sehr guten Wahlkampf machen und mit dem Aufschwung, werden wir die Ortenau bis in den letzten Winkel nicht so schnell weniger konservativ machen können. Der enorme Zulauf zeigt jedoch auch unsere Fortschritte dabei.“ Das Ergebnis der U18-Wahl mit 20 Prozent für Die Linke sei ermutigend. Das liege aber daran, dass Die Linke auf der Seite der Jugend stehe. Deshalb sei sie auch schon mit 14 Jahren politisch aktiv geworden. Als Beispiele nennt sie Positionen wie die Ablehnung der Wehrpflicht oder die Klimapolitik.
Kritik an Friedrich Merz
Schließlich kritisiert sie CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Der CDU-Chef hatte bei einer Kongress seiner Partei zum Thema Wehrpflicht und verpflichtendes Gesellschaftsjahr an die Jugend adressiert gesagt: „Ihr lebt in einem Land, in dem ihr alle Chancen habt – so gut, wie in wenigen anderen Ländern der Welt“ und ergänzt: „Heißt auch, wir können und wir dürfen von euch auch etwas erwarten.“ Darüber müsse mit der jungen Generation gesprochen werden, hieß es laut dem Newsportal Welt zudem.
Der Sozialabbau gehe einher mit Militarisierung, Rechtsruck und der Einschränkung demokratischer Rechte. Unter anderem werde die Wehrpflicht schrittweise wieder eingeführt. Es sollen laut Vollmer möglichst viele junge Menschen rekrutiert werden. „Und das während die meisten jungen Menschen damit beschäftigt sind im Angesicht von viel zu hohen Mieten, steigenden Preisen und Ausbeutung überhaupt finanziell über die Runden zu kommen.“
Deutliche Worte
Die Forderung von Friedrich Merz im November, von der Jugend für dieses Land voller (Vollmer: „angeblicher“) Chancen auch etwas von der Jugend erwarten zu können, quittiert sie mit deutlichen Worten: „Ja, er kann etwas erwarten und zwar Widerstand! Wir lassen uns doch nicht verarschen. Und erst recht lassen wir uns nicht für ihre Kriege verheizen! Wir sagen Nein zur Wehrpflicht, Waffenexporten und Aufrüstung!“
Tatsächlich wird der Generation Z, also den ca. zwischen 1995 und 2010 Geborenen, nachgesagt, ein gestörtes Verhältnis zur Arbeit zu haben und dennoch viele Ansprüche zu stellen. Zu Unrecht, wie man jetzt weiß. Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) widerlegt dieses Vorurteil. Demnach arbeiten so viele der 20- bis 24-jährigen, wie zuletzt 1995. Die Erwerbsquote liegt in dieser Altersgruppe bei 75,9 Prozent, wie der Fachblog t3n berichtet.
„Die jungen Leute sind fleißig wie lange nicht mehr“, erklärt dem Bericht zufolge der Forschungsleiter Enzo Weber gegenüber der Tagesschau. Das liege vor allem an der stark gestiegenen Zahl arbeitender Studentinnen und Studenten. Die Forderung des CDU-Kanzlerkandidaten ging allerdings eher in Richtung Wehrpflicht.
Reicht es für die Sensation?
Bleibt nur noch, die Wahl am kommenden Sonntag abzuwarten. Mit Spannung dürften gerade auch die Ergebnisse von FDP, BSW und nicht zuletzt der Linken erwartet werden. Sollten diese kleineren Parteien allesamt in den Bundestag einziehen, würden sich ganz andere Konstellationen für eine Regierungsbildung ergeben. Und bei bundesweit elf bis zwölf Prozent der Stimmen für Die Linke hätte auch Amelie Vollmer mit Listenplatz Sieben eine realistische Chance, künftig als wohl die historisch jüngste Abgeordnete im Wahlkreis die Ortenau in Berlin zu vertreten.
Siehe auch:
Günther Oettinger (CDU): „Johannes Rothenberger betritt große Fußstapfen“
Eileen Lerche (FDP): „Berlin weiß nicht, was das Beste für Teningen oder Lahr ist“
AfD-Kandidat Taras Maygutiak geht von Zweikampf mit Johannes Rothenberger aus
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