In den vergangenen drei Jahren ist die amtierende Bundesregierung vor allem durch internen Streit und Uneinigkeit aufgefallen. Teils sinnvolle Projekte und Erfolge wie die Startup-Strategie, die Wahlrechtsreform oder der Pflegebonus geraten angesichts der immensen Herausforderungen, denen sich Deutschland gegenüber sieht, deutlich in den Hintergrund. Die Wirtschaft befindet sich in einer schweren Krise, in vielen Feldern wie Digitalisierung, Zukunftstechnologien oder der Bildung droht das Land den internationalen Anschluss zu verlieren und dazu kommen noch das beherrschende Thema Migration und die weltweiten Krisen und Konflikte. Nicht zuletzt muss sich Europa auf einen US-Präsidenten Donald Trump einstellen. Um diese Probleme anzugehen, braucht es entschlossenes Handeln und vor allem Geschlossenheit.
Gewaltige Probleme
Zuletzt sorgte Finanzminister Christian Lindner mit seinem Positionspapier für eine Wirtschaftswende für neuen Zwist in der Koalition. Darin fordert der FDP-Politiker u. a. Bürokratieabbau, eine Abkehr von den nationalen Klimazielen, die Entlastung der Wirtschaft und eine Ausweitung der Arbeitszeiten. Viele interpretieren dies als Scheidungspapier für die Regierung. Der Bruch der Ampel scheint nur noch eine Frage der Zeit. Nach etlichen Dreiergesprächen zwischen Kanzler Scholz, Lindner und Habeck tagt nun heute Abend der Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP. Sollten sich die drei Noch-Partner nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können, wie sie die gewaltigen Probleme lösen wollen, müssen sie schnell den Weg frei machen für einen Neuanfang. Die Zeit drängt.
Vor allem die darbende Wirtschaft braucht dringend ein klares Signal des Aufbruchs, sonst droht ganzen Branchen und Industriezweigen der Niedergang mit der Folge von Wohlstandsverlusten. Der CDU-Bundestagskandidat Johannes Rothenberger aus Oberkirch, der Ende September im Wahlkreis Offenburg mit klarer Mehrheit nominiert wurde, rechnet nicht mit einem Auseinanderbrechen der Regierung, wie er auf eine Anfrage gegenüber dem Ortenau Journal erklärt: „Die Ampel ist sehr ernsthaft in Gesprächen, ob sie die letzten Monate weiter zusammen regieren möchte. Jede Entscheidung ist zu respektieren und das Beste draus zu machen. Mein Eindruck ist, dass es zu keinen vorgezogenen Neuwahlen kommt.“
Dauerstreit soll beendet werden
Rothenberger weist dennoch darauf hin, dass sich die Reformideen von Christian Lindner zur Entlastung der Unternehmen sowie Änderungen in der Klima-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik grundlegend von der Politik der Ampel, wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, unterscheiden. „Ich verstehe nicht, warum Christian Lindner von seinen Partnern Zugeständnisse zu diesen Positionen fordert, die er gar nicht veröffentlichen wollte. Er hätte doch bereits im Koalitionsvertrag sehen müssen, dass das dort Vereinbarte grundlegend anders ist und bereits dort seine Forderungen aufstellen müssen“, so Rothenberger.
Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Emmendingen/Lahr, Johannes Fechner, geht nicht von einem Ende der Regierung aus: „Vom Koalitionsausschuss erwarte ich das klare Bekenntnis, dass statt Dauerstreitereien jetzt von der Ampel die den Bürgern auf den Nägeln brennenden Themen wie sichere Renten, bezahlbare Pflege, Sicherung von Jobs und Wachstum sowie Bürokratieabbau bearbeitet werden mit einer klaren Zusage von FDP und Grünen.“ Die Motive des Finanzministers würden sich ihm nicht erschließen, da die FDP in den Umfragen „katastrophal“ dastehe. Fechner: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er oder seine Parteibasis jetzt noch Neuwahlen wollen, aber das muss die FDP beurteilen.“
Bürokratie de Luxe
Die Vorschläge von Lindner müssten danach beurteilt werden, ob sie das Land voranbringen würden. Diese seien durchaus interessant und sollten jetzt geprüft werden, erklärt der SPD-Politiker gegenüber dem Ortenau Journal. Gleichzeitig mahnt er einen schnellen Beschluss der Bundestages zum Wachstumschancengesetz an, da dies erhebliche Entlastungen für die Wirtschaft mit sich bringen würde. Außerdem würden die schon beschlossenen Maßnahmen wirken. Es gebe ein erstes zartes Wirtschaftswachstum.
Beim Thema Bürokratieabbau scheint er der Verantwortung der deutschen Politik eher auszuweichen und schiebt die Schuld in Richtung Brüssel ab: „Beim Bürokratieabbau müssen wir mehr Druck auf die EU machen, um dort zu Verbesserungen zu kommen.“ Nun ist es ja nicht von der Hand zu weisen, dass ein Großteil der komplizierten Gesetze und Verordnungen von der EU kommen. Dennoch setzt der deutsche Gesetzgeber diesen in der nationalen Umsetzung nicht selten noch die Krone auf. Bürokratie de Luxe sozusagen. Da muss mehr kommen vom Koalitionspartner, sonst könnte in der Bevölkerung der Eindruck entstehen, dass den Akteuren das Ausmaß der Problematik nicht bewusst ist. Immerhin: Im Positionspapier von Christian Lindner sind sofortige Maßnahmen diesbezüglich enthalten.
„Vertrauen auf einen gemeinsamen Weg“
Wie geht es also weiter? Laut CDU-Mann Rothenberger ist viel Vertrauen in die Politik verloren gegangen und es gebe viele Enttäuschte. „Hier gilt es anzusetzen, zuzuhören, zu verstehen und Fehler zu beheben und Dinge besser zu machen“. Das Wichtigste sei nun, den Menschen Zuversicht in die Zukunft zu geben. Dann werde investiert, Leistung gebracht und mit Freude auch Verantwortung übernommen. Rothenberger: „Diese Zuversicht entsteht mit dem Vertrauen der Menschen auf einen gemeinsamen Weg. Dazu muss man auch den Menschen Vertrauen und Freiraum geben sowie Leistung honorieren.“
Vorbereitungen, um im Falle eines Bruchs der Ampel sofort in den Wahlkampf starten zu können, habe man Rothenberger zufolge noch nicht getroffen: „Wir haben uns als CDU erneuert und ein neues Grundsatzprogramm aufgestellt. Derzeit wird gerade ein Regierungsprogramm ausgearbeitet. Aber wenn vorgezogene Neuwahlen kommen sollten, werden wir unserer Verantwortung auch gerecht werden.“
Keine Ablösung von Olaf Scholz?
Dass die CDU als stärkste Kraft aus Neuwahlen hervorgehen würde, ist für den SPD-Abgeordneten Fechner hingegen noch nicht ausgemacht, obwohl die Umfragen eindeutig dafür sprechen. Der Rückstand der jetzigen Kanzlerpartei auf die Union liegt bei deutlich über 15 Prozent. „Es wird um die Frage Merz oder Scholz gehen. Merz hat keinerlei Regierungserfahrung, hat oft seine Emotionen nicht im Griff und muss regelmäßig seine Positionen wieder zurücknehmen, weil es rechtlich oder tatsächliche Probleme gibt“, sagt Fechner. Deshalb habe man gute Chancen, die nächste Bundestagswahl zu gewinnen. Und zwar mit einem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, wie Fechner beteuert und damit den Spekulationen um eine Ablösung durch Boris Pistorius entgegentritt.
Auch 2020 hätten die Umfragen so ausgesehen. Damals konnte die SPD tatsächlich noch im Schlussspurt an der CDU vorbeiziehen. Allerdings konnten die Wähler damals noch nicht erahnen, wie offenbar führungsschwach Scholz in den kommenden drei Jahren vergeblich versuchen sollte, die Zerstrittenheit von SPD, Grünen und FDP in den Griff zu bekommen. So ist er der unbeliebteste Bundeskanzler in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein großer Wurf ist der Regierung bislang auch noch nicht gelungen, was aber angesichts der massiven Probleme des Landes nötig wäre. Sei es in Bereichen wie Rente, Pflege, illegale Migration, Digitalisierung oder eben Wirtschaft. Zu viel kompliziertes Klein-Klein wurde beschlossen.
Neue Aufbruchstimmung nötig
Der Koalitionsausschuss ist als die letzte Chance der Ampel anzusehen, doch noch hintenraus eine den Aufgaben angemessene große Reform anzuleiern. Insofern wären die Noch-Partner gut beraten, die teilweise sinnvollen Vorschläge des Finanzministers in Regierungshandeln umzusetzen. Ansonsten könnte die FDP die Reißleine ziehen und die Zeit der Ampel-Regierung würde irgendwann rückblickend wohl als kurze, verkorkste Episode und als verlorene Zeit betrachtet werden.
Doch auch die CDU hat in der großen Koalition bis 2021 wahrlich kein gutes Bild abgegeben. Das Kabinett Merkel schien ebenso führungsschwach und heillos überfordert damit zu sein, rechtzeitig die Weichen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu stellen. Zu groß waren die Versäumnisse. Man gab sich mit Klientelpolitik zufrieden. Bleibt nur zu hoffen, dass das heutige Personal der Union und der übrigen Parteien aus diesen alten und den heutigen Fehlern gelernt hat und bereit und in der Lage ist, eine neue Aufbruchstimmung zu erzeugen. Doch zunächst muss der Koalitionsausschuss abgewartet werden.
Wolfgang Huber
Siehe auch:
CDU im Wahlkreis Offenburg nominiert Johannes Rothenberger für die Bundestagswahl
Martin Gassner-Herz (FDP): „Wenn wir die Probleme lösen, besteht die Ampel fort“
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
2024 | Ortenau Journal – Das Nachrichtenportal für die Ortenau