Exklusiv-Interview

„The Voice“ Dagmar Berghoff: „In Hamburg werden Bäume für Radwege rigoros gefällt“

Dagmar Berghoff in der Tagesschau (1996)
© NDR/Michael Lotz (1996)
Sie ist noch heute Millionen Deutschen TV-Zuschauern bekannt. Dagmar Berghoff gab als erste Frau am 16. Juni 1976 ihr Debüt bei der Tagesschau. Am 31. Dezember 1999 beendete sie ihre Karriere als Tagesschau-Chefsprecherin – also ziemlich genau vor 25 Jahren. Anlass genug für Jürgen Stark, Berghoff für das Ortenau Journal zu interviewen. Dabei spricht sie über den Tag, an dem John Lennon starb und kritisiert die massiven Baumfällungen in Hamburg scharf.

Der heute in der Ortenau lebende Hamburger Journalist und Autor Jürgen Stark kennt die Kult-Moderatorin Dagmar Berghoff aus gemeinsamer Arbeit für die „Hamburg Sinfonie“. In dessen Exklusiv-Interview für das Ortenau Journal spricht die 81-Jährige, deren Karriere einst beim damaligen Südwestfunk (SWF) in Baden-Baden begann, über den „spröden“ Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, den Tag, als John Lennon in New York erschossen wurde und nimmt Stellung zu den Plänen des rot-grünen Senats, Hamburg zur „Fahrrad-Stadt Nr. 1 in Europa“ zu machen. Wie auch Offenburg hat die Hansestadt eine negative Baumbilanz, was hier wie dort Diskussionen auslöst. Ein Text und ein Gespräch am Vorabend eines denkwürdigen Jubiläums.

Von Jürgen Stark

Diese Stimme. Selbst wenn ich beim Versuch, sie zu erreichen, diese nur vom Anrufbeantworter höre, bin ich gleich wieder fasziniert. Dagmar Berghoff war Stimme und Gesicht der „Tagesschau“ – und blieb es nicht nur für ältere Jahrgänge. Denn bis ins hohe Alter ist sie aktiv, macht auch jetzt zu Weihnachten wieder als Erzählerin und mit Lesungen Menschen eine Freude. Sie hat eine enorm positive Ausstrahlung, welche erklärt, warum sie einst als Nachrichtensprecherin eher Popstar als TV-Moderatorin war. Ihre Karriere basierte auf viel Fleiß und Talent, vor allem aber auch auf dem festen Willen, Schicksalsschlägen und Widrigkeiten zu trotzen. Das ist enorm, denn wer sie persönlich kennt, erlebt eine eher zarte Lady mit hellwachem, kritischem Schöngeist, einen sensiblen Menschen.

Karrierestart beim Südwestfunk (SWF)

Stationen eines prominenten Lebens: In Berlin geboren, wuchs Dagmar Berghoff von 1944 bis 1947 bei einer Tante in Nürnberg auf – wo die Alliierten das monströse NS-Reichstagsgelände in Schutt und Asche gebombt hatten. Sie kam zurück zu den Eltern und dem ein Jahr jüngeren Bruder, nun nach Frankfurt an der Oder. Die Familie zog später nach Ahrensburg bei Hamburg. Es blieb tragisch und dramatisch, ihre manisch-depressive Mutter beging 1950 Suizid. 1957 zogen der Vater und die Kinder dann nach Hamburg-Marmstorf. Dagmar Berghoff trotzte allen Umständen und nach dem Abitur 1962 stieg sie unbeirrt auf: Sprachenstudium in London und Paris, Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Und dann Karrierestart in Baden-Württemberg als Fernsehansagerin, Hörfunksprecherin und Moderatorin beim damaligen Südwestfunk (SWF) in Baden-Baden. 1976 kehrte sie nach Hamburg zurück und fing beim Norddeutschen Rundfunk an. Höhepunkt: Sie wurde erste deutsche Tagesschau-Sprecherin und schließlich vom 25. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1999 die überaus beliebte und wohl prominenteste Chefsprecherin aller Zeiten.

Zusammenarbeit bei der „Hamburg Sinfonie“

Das hatte auch ab 2016 ff. die Hamburger Schlagzeuger-Legende Wolfgang „Zabba“ Lindner vor Augen. Ein umtriebiger Komponist, Drummer der Extraklasse (spielte u.a. mit Jack Bruce von Cream) und Projektentwickler. Er schrieb mehrere Sinfonien, u. a. die „Mountain Rock Sinfonie“, die 2004 in Bad Reichenhall mit dem Philharmonischen Orchester aufgeführt wurde. Für eine „Hamburg Sinfonie“ baute Lindner ein Team auf, mit den Musikern George Kochbek und Kurt Buschmann – und als Sprecherin Dagmar Berghoff. Kollege „Zabba“ bat mich das Libretto mit einer historisch-lyrischen Erzählung der Hansestadt zu schreiben. Für mich als Sohn eines Hamburger Seemanns eine große Ehre – auch wenn ich die Geschichte nun „im Exil“ am Weinberg in der Ortenau schrieb.

Dann kam es zur Aufführung in Hamburg. Dagmar Berghoff machte lebendige Geschichte aus meinem Text, umrahmt von exzellenten Musikern. Großes wurde nach dem erfolgreichen Probestart geplant, wir wollten damit in die Elbphilharmonie, planten großes Kino – mit Superstar Dagmar „The Voice“ Berghoff. Tragik geht, Tragik kommt. Bei unserer Arbeit für größere Auftritte merkte Dagmar Berghoff noch an: „Jürgen, du schreibst so dermaßen maskulin, ich brauch für die nächsten Lesungen unbedingt noch einen männlichen Part.“ Wir waren deshalb bereits mit Showstar und Lindner-Freund Hugo Egon Balder für diesen Part im Gespräch, als die Hiobsbotschaft kam. „Zabba“ Lindner war soeben gestorben, eine Krebserkrankung hatte ihn besiegt. Geradezu symbolisch musste ein großes Projekt beerdigt werden.

Verbissene Debatte

Gemessen an dem, was Dagmar Berghoff nun, wenige Jahre später, über die Stimmung an Alster und Elbe zu berichten weiß, lässt sich unsere Hommage an die Hansestadt heutzutage wohl nicht mehr durchführen. Und das erinnert fatal an eine verbissene Debatte, die derzeit auch in Offenburg geführt wird. Unglaublich, aber wahr. Ein ungewöhnliches Interview zum ungewöhnlichen Jubiläum. Vor 25 Jahren, am 31. Dezember 1999, moderierte Dagmar Berghoff zum letzten Mal die „Tagesschau“ der ARD.

Das Interview von Jürgen Stark mit Dagmar Berghoff:

Ortenau Journal: Wenn man heute mit Leuten spricht, sagen viele, es sei inzwischen alles schnelllebig, beliebig. Gesichter kommen und gehen, aber Dagmar Berghoff kennen viele Fernsehzuschauer immer noch.

Dagmar Berghoff: Bei den Älteren mag das sein, vielleicht auch noch bei denen, die damals 10, 12 Jahre alt waren, als ich noch auf Sendung war. Aber bei den heute 20-Jährigen kennt mich heute keiner mehr und das ist auch okay. Allerdings ist an der Schnelllebigkeit schon was dran, denn wenn ich mir vorstelle, dass ich an diesem Silvester das letzte mal vor 25 Jahren moderiert habe werde, kommt mir das wahnsinnig vor. 25 Jahre – das ist ja schon eine Generation.

Ortenau Journal: Alter ist heute relativ geworden.

Dagmar Berghoff: Das ist richtig. Meine Stiefmutter ist gerade 95 Jahre alt geworden und die sagte neulich zu mir: „Ich kann es nicht glauben, ich fühle mich wie 70!“

Ortenau Journal: Ältere Menschen sind heute auch länger aktiv.

Dagmar Berghoff: Ja, das ist auch gut so. Früher waren Frauen mit 60 schwarz und grau gekleidet, fühlten sich unattraktiv und waren es auch. Heute hat man viel mehr Möglichkeiten, man achtet mehr auf sich und daher hat sich vor allem das Bild der Frauen erfreulich gewandelt.

Ortenau Journal: Was hast du die 25 Jahre danach gemacht?

Dagmar Berghoff: Erstmal noch weiterhin viel Rundfunkmoderation und auch Sendungen wie „Heimat in der Ferne“, mit Auslandsreisen nach Costa Rica, Nashville oder Südafrika. Wir haben dort Leute besucht, die ausgewandert sind. Das waren 45-Minuten-Reportagen für den NDR. Außerdem mache ich auch immer noch Weihnachtslesungen für Senioren, in Altenheimen, Theatern oder Kirchen, jetzt gerade wieder in Münster. Ich treffe mich auch viel mit Freunden, gehe ins Theater. Inzwischen freue ich mich aber auch, wenn ich mal einen freien Tag habe (lacht).

Ortenau Journal: Eine glorreiche Ära beim NDR, mit bundesweiter Popularität, scheint vorbei zu sein. Talklegende Carlo von Tiedemann oder auch ESC-Macher Peter Urban sind Geschichte. Welche Verbindungen hast du noch zu der Zeit?

Dagmar Berghoff: Zu den Kollegen Jan Hofer, Susanne Daubner oder Jo Brauner habe ich noch Kontakt. Vor einem Jahr wurde ich von der heutigen Redaktion an meine ehemalige Arbeitsstelle beim NDR zu einer Besichtigung eingeladen. Das war sehr nett vorbereitet worden, der Kuchen kam nicht aus der Senderkantine sondern vom guten Konditor außerhalb. Alles war digitalisiert, alles wurde mir erklärt, wie dort heute gearbeitet wird – und ich habe nichts verstanden. Es war wie in einem Raumschiff.

Ortenau Journal: Die Nähe zur Prominenz gehört beim Moderatoren-Job auch immer dazu.

Dagmar Berghoff: Man hat in dem Beruf automatisch viele Kontakte. Ich war ja nebenher auch mit der Theaterszene verbandelt, habe auch später noch Heidi Kabel vom Ohnsorg Theater im Seniorenheim besucht und kannte auch prominente Kollegen, wie Evelyn Künneke, von der Schauspielschule. Meine Erfahrung mit Künstlern war, dass die richtig großen Stars meist zuverlässig und freundlich waren, immer pünktlich an der Bühne. Die Künstler, die nur kurz bekannt sind, die sind das meistens nicht.

Ortenau Journal: Deine persönliche Entwicklung begann im Funkhaus Baden-Baden.

Dagmar Berghoff: Dort begann ich als Rundfunkmoderatorin mit kleinen Sendungen, erst regional, dann überregional, die dann größer wurden, schließlich bis zu vier Stunden. Beim SWR kamen dann noch Fernsehshows dazu. Der große Durchbruch kam nach dem Wechsel zum NDR.

Ortenau Journal: Dort wurde es dann richtig prominent.

Dagmar Berghoff: Ja. Hans-Dietrich Genscher hatten wir bei der „Tagesschau“ mal im Studio. In Bonn traf ich Helmut Kohl und Hannelore Kohl, als das noch die Hauptstadt war. Helmut Schmidt lernte ich erst nach seiner politischen Karriere kennen, aber der war unnahbar, spröde, Hanseat durch und durch. Der saß immer im Theater in der ersten Reihe und rauchte seine Zigaretten als einziger oder mit seiner Frau Loki. Der bekam überall seinen Aschenbecher, heute undenkbar.

Ortenau Journal: Die Mediennutzung hat sich in 25 Jahren erheblich verändert.

Dagmar Berghoff: Vor allem bei den jungen Leuten und das ist unaufhaltsam. Die sehen sich News auf ihrem Handy an und schauen im Fernsehen keine Nachrichten mehr. Man hat darauf reagiert, es gibt ja neue Formate, wie „Tagesschau in drei Minuten“. Ich bin da altmodisch und schaue immer um 20 Uhr die Nachrichten.

Ortenau Journal: Was waren besondere Ereignisse in deiner Zeit als Nachrichtensprecherin?

Dagmar Berghoff: Natürlich Tage, wie jetzt gerade der 8. Dezember, als vor Jahrzehnten John Lennon in New York erschossen wurde. Lennon war ein Riesenidol, wie auch die anderen Beatles. Es kam als Eilmeldung und nicht als fertiger Text. Ich war schockiert, wie sagt man das Millionen von Menschen…?! Auch als Elvis starb hatte ich Dienst. Da hab ich mich schon gefragt: Warum trifft es immer mich…!?

Ortenau Journal: Wolfgang „Zabba“ Lindners „Hamburg Sinfonie“ ist schöne Erinnerung. Nun höre ich hier unten im Südwesten immer wieder Negatives über Hamburg. Es scheint, als wäre diese Hommage an die Stadt heute nicht mehr möglich.

Dagmar Berghoff: Das wäre nicht mehr möglich. Hamburg hat sich sehr verändert. Unser Projekt ging ja bis zur Eröffnung der Elbphilharmonie – und danach erfolgte ein radikaler Wandel auf Regierungsebene.

Ortenau Journal: Hamburg hat einen rot-grünen Senat, was hat sich denn unter ihm so sehr gewandelt?

Dagmar Berghoff: Hamburg soll nun Europas „Fahrrad-Stadt Nummer Eins“ werden, was zu extremen baulichen Maßnahmen auf den Straßen führt. Hamburg ist jetzt Deutschlands „Baustellen-Stadt Nummer Eins“. Du siehst Absperrungen an jeder Ecke, Straßen sind plötzlich gesperrt, oft weiß man nicht mehr, wie man noch mit dem Auto nach Hause kommt. Baustellen über Baustellen, das macht die Leute mürrisch, das macht schlechte Laune. Ich kann nur hoffen, dass dieser Senat jetzt bei der Bürgerschaftswahl in der Zusammensetzung abgewählt wird.

Ortenau Journal: Ich habe als Teenager oft mit der Gitarre unter uralten, riesigen Trauerweiden an der Alster gesessen – als ich jetzt hörte, dass allein an der Alster 76 alte Bäume nur für Fahrradwege gefällt wurden, wurde mir ganz schlecht.

Dagmar Berghoff: Es ist auch völlig unverständlich, warum die ganze Stadt für Fahrradwege umgebaut werden soll. Diese Rigorosität passt überhaupt nicht dazu, dass in Hamburg sehr viele ältere Menschen leben, die gar nicht mehr Fahrrad fahren können.

Ortenau Journal: Das findet offenbar genauso rigoros und rücksichtslos in vielen deutschen Städten statt, nicht nur an Elbe und Alster.

Dagmar Berghoff: Das wird hier immer extremer. Inzwischen sind über 2000 Parkplätze in Hamburg vorsätzlich abgeschafft worden, das sollen noch mehr werden und es soll nur noch registrierte Parkplätze für Anwohner geben. Hausbesitzer und Vermieter zahlen bereits Gebühren und Abgaben für die Straßen, jetzt will die Stadt sie nochmals für die Parkplätze vor ihren Häusern abkassieren.

Ortenau Journal: Das klingt nach scheußlichem Alltag.

Dagmar Berghoff: Ich wohne in einer Nebenstraße, wo noch keine nummerierten Parkplätze sind. Insofern suchen hier nun täglich Autofahrer nach einem Parkplatz. Natürlich dann auch in meiner Straße – und wenn mich dann mal Freunde besuchen wollen, haben sie große Probleme einen Parkplatz zu finden.

Ortenau Journal: Hamburg war doch immer eine so schön grüne Stadt.

Dagmar Berghoff: Jetzt werden uralte Bäume gefällt, selbst dort, wo bereits Fahrradwege vorhanden sind. Diese sollen aber nun begrünt werden, damit daneben ein noch größerer Radweg hinzukommen soll. Die Straßen nur noch einspurig, selbst Enteignungen von Grundstücken sind für diesen Ausbau im Gespräch.

Ortenau Journal: Dein Fazit?

Dagmar Berghoff: Die Lebensqualität hat in Hamburg spürbar nachgelassen.

Foto: (Bildrechte: NDR/Michael Lotz) Millionen Deutsche kennen Dagmar Berghoff als Chefsprecherin der „Tagesschau“ (1996)

Siehe auch:

Ralph Fröhlich: „Fällung von 726 Bäumen in Offenburg wäre ein harter Rückschlag“

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