Im Januar 2024 hielten Landwirte mit ihren Traktoren und ihren Protesten auch in der Ortenau wochenlang die Autofahrer in Atem. Diesmal geht es um weit mehr als Agrardiesel: Durch das Mercosur-Abkommen zwischen der EU und vier südamerikanischen Ländern drohen der europäischen Landwirtschaft erhebliche Wettbewerbsnachteile. Welche das sind und welche Forderungen er an die Politik stellt, erläutert der Kreisvorsitzende für Rastatt, Bühl und Achern des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbandes BLHV, Thomas Huschle, im Interview mit dem Ortenau Journal.
Interview von Wolfgang Huber
Ortenau Journal: Die EU hat das Mercosur-Abkommen mit den lateinamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay unterzeichnet. Viele, vor allem französische Landwirte, hatten monatelang gegen das Abkommen protestiert. Welche Nachteile sehen sie durch das Vertragswerk?
Thomas Huschle: Die Landwirtschaft ist in meinen Augen das vielzitierte Bauernopfer. Europa erkauft sich die Möglichkeit, Industriegüter nach Südamerika zu exportieren. Im Gegenzug werden Agrargüter importiert, die bei deutlich geringeren Standards produziert werden. Die damit einhergehenden geringeren Kosten bedeuten für uns in Europa einen Wettbewerbsnachteil. Unsere Marktpreise geraten unter Druck.
Ortenau Journal: Würde es nicht andersherum auch funktionieren, vermehrt Agrargüter in die Mercosur-Staaten exportieren zu können?
Thomas Huschle: Generell bin ich ein großer Freund von Handelsabkommen. Natürlich bietet das Mercosur-Abkommen vielleicht an anderer Stelle auch Chancen für unseren Agrarsektor.
Ortenau Journal: In Südamerika könnte auch die Verwendung von Pestiziden, die bei uns längst verboten sind, deutlich ansteigen.
Thomas Huschle: Das ist eine Gefahr, das werden wir sehen. In Südamerika werden zum Teil Pflanzenschutzmittel eingesetzt, die bei uns seit Jahrzehnten zu Recht verboten sind. Es kann nicht sein, dass die unter diesen Bedingungen produzierten Güter dann in die EU kommen. Das ist genau das, was wir mit deutlich reduzierten Standards meinen, die uns dann die Preise kaputt machen.
Ortenau Journal: Es heißt auch, das Abkommen würde den Rinder-Baronen in Brasilien einen Vorteil verschaffen, die mit ihrem Futtermittelanbau dann verstärkt die Amazonas-Regenwälder abholzen würden. Sehen sie auch diese Gefahr?
Thomas Huschle: Wahrscheinlich ist auch das eine Gefahr. Wenn die südamerikanischen Produzenten die Chance sehen, mehr Güter in die EU zu exportieren, brauchen die natürlich auch mehr Anbaufläche. Dann werden die natürlich auch vor Regenwaldabholzung nicht zurückschrecken, um diese zusätzlichen Anbauflächen zu generieren. Wenn man es nicht durch eine Produktivitätssteigerung hinbekommt, braucht man mehr Produktionsfläche.
Ortenau Journal: Das Abkommen könnte eh noch scheitern. U. a. müssen noch der Europa-Rat und das EU-Parlament zustimmen. Länder wie Polen, Frankreich oder Italien sind gegen das Abkommen. Hoffen sie, dass das Abkommen komplett scheitert oder wären sie mit Nachverhandlungen zum Schutz der heimischen Landwirtschaft zufrieden?
Thomas Huschle: Ich wäre mit Nachverhandlungen zufrieden. Wie ich eingangs schon sagte, bin ich ein großer Freund von Handelsabkommen und vom Handel generell und halte das Mercosur-Abkommen schon für den richtigen Weg. Nur der Agrarteil muss nachverhandelt werden. Die Frage wird sein, wie da die Mühlen mahlen. Ob es reicht, den Agrarteil gesondert zu behandeln oder ob alles nochmal neu aufgeschnürt werden muss. Letzteres wäre nicht gut.
Ortenau Journal: Das heißt, sie sehen auch die Chancen, beispielsweise für die Automobilindustrie, mehr Produkte exportieren zu können?
Thomas Huschle: Volkswirtschaftlich halte ich es für absolut richtig, Handelsbeschränkungen abzubauen. Da muss ich nicht lange nachdenken. Aber es gehört natürlich eine gewissen Fairness dazu, dass einzelne Produktionszweige wie hier der Agrarsektor, nicht verkauft werden, um in anderen Bereichen gut dazustehen.
Ortenau Journal: Özdemir hat eine Herkunftskennzeichnung gefordert. Damit könnten sich die Verbraucher bewusst für europäische Produkte entscheiden. Könnte dies den Landwirten helfen?
Thomas Huschle: Wir Landwirte sind schon lange für eine saubere Herkunftskennzeichnung. Das ist einerseits auch ein hohes Risiko, weil das mit mehr Bürokratie verbunden ist. Eigentlich fordern wir ja Bürokratieabbau. Aber am Ende würde das den Verbrauchern die Möglichkeit geben, frei zu entscheiden. Wir gehen davon aus, dass viele Verbraucher sich dann zu unsere höheren Standards bekennen würden. Es würde dann nicht bei einem Lippenbekenntnis bleiben, das man nicht überprüfen kann, sondern es wäre ganz klar zu erkennen, wo die Produkte herkommen.
Ortenau Journal: Sehen sie die Möglichkeit, für landwirtschaftliche Betriebe neue Geschäftsfelder zu erschließen, beispielsweise bei der Landschaftspflege, im Bereich der Biomasse für die Energiegewinnung oder beim Nutzhanf?
Thomas Huschle: Ja. Es ist aber nicht ganz einfach. Da braucht es einfach auch ein bisschen Glück und Geschick des Unternehmers, im richtigen Moment das richtige zu erkennen und den Mut und die Initiative, da ran zu gehen. Möglichkeiten gibt es viele. Das zeigt uns das Leben immer wieder. Sie haben einige Beispiele genannt. Es gibt Dinge, die bleiben konstant am Markt. Andere, von denen man dachte, sie seien das Richtige, verschwinden wieder. Was man vielleicht sagen muss: Manchen fällst es schwer, neue Dinge auszuprobieren. Die haben ihren Bereich und sind da auch richtig gut. Die bleiben dann lieber beim Gewohnten. Andere suchen eher die Abwechslung und neue Ideen und sind dann risikofreudiger.
Ortenau Journal: Fühlen sie sich von der Politik im Stich gelassen?
Thomas Huschle: Ja. Aber ich will von der Politik keinen Freifahrtschein oder ein Rundumsorglospaket, dass mein Geschäft läuft. Was ich der Politik vorwerfe ist, dass sie es einfach nicht mehr hinbekommt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein vernünftiges Wirtschaften ermöglichen. Und solche, die einem eine gewisse Planungssicherheit geben. Wenn man investiert, macht man das nicht für die nächsten zwei Wochen oder zwei Monate. In der Landwirtschaft denken wir bei großen Investitionen in Zeiträumen der nächsten fünfzehn oder zwanzig Jahre. Wenn alle vier Jahre die Gesetze geändert und neue Normen eingeführt werden, sich die Investition noch gar nicht amortisiert hat und ich dann gezwungen werde, erneut zu investieren, dann passt das nicht. Das ist unser größtes Problem. Das werfe ich der Politik ganz massiv vor.
Ortenau Journal: Wir hatten im Sommer bei unserem letzten Interview schon einmal darüber gesprochen: Beim Thema Investitionen fällt automatisch das Wort Digitalisierung. Einige Parteien fordern zur Zeit im Wahlkampf, diese zu forcieren.
Thomas Huschle: Digitalisierung ist mit Sicherheit ein ganz wichtiger Punkt. Da könnten viele Betriebe einen Teil der Probleme wesentlich reduzieren. Allerdings schrecken viele noch die hohen Investitionskosten ab.
Ortenau Journal: Ist mit weiteren Protesten der Landwirte zu rechnen?
Thomas Huschle: Meines Wissens ist da zur Zeit nichts in der Pipeline. Aber generell ist das Selbstverständnis der Landwirte durch die Proteste im vergangenen Jahr dahingehend gewachsen, dass wir uns bereit fühlen wieder aktiv zu werden, falls es nötig wird. Wir sind jetzt kurz vor einer Wahl. Da wird einem sehr viel versprochen. Da muss man aktiv seine Standpunkte aufzeigen. Aber echte Proteste gegen die Politik machen im Moment nicht wirklich Sinn, weil sich da alle wegducken und sagt: Ich fühle mich da nicht angesprochen. Aber wir fühlen uns als Berufsstand gestärkt. Es gibt eine neue Solidarität untereinander. Ich habe das Gefühl, dass wir wieder auf die Straße gehen würden, wenn es massiv zu unseren Ungunsten läuft.
Das könnte dich auch interessieren:
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
2024 | Ortenau Journal – Das Nachrichtenportal für die Ortenau