logo_portal2
Verbandsversammlung

Mieterbund fordert im Europa-Park Rust die Politik zum Handeln auf

© asepwaraz/pixabay
Anlässlich des Mietertages Baden-Württemberg 2024 kamen am 12. und 13. Juli die Delegierten aus den 35 baden-württembergischen Mietervereinen im Europa-Park Rust zusammen. Sie vertreten 160.000 Mieterhaushalte und fordern eine wohnungspolitische Offensive gegen den wachsenden Wohnungsmangel und gegen explodierende Mieten. Nötig sei unter anderem eine deutlich höhere Wohnraumförderung.

„Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Erhalt unserer Demokratie ist es unerlässlich, dass Wohnen bezahlbar ist“, erklärte Rolf Gaßmann, Landesvorsitzender des Deutschen Mieterbundes Baden-Württemberg, auf dem Mietertag laut einer Pressemitteilung. „Der Bau bezahlbarer Mietwohnungen muss eine zentrale Rolle in der Landespolitik spielen. Wirksame Maßnahmen zum Erhalt eines bezahlbaren Wohnungsbestandes und Reformen des Mietpreisrechtes durch den Bundestag sollten den Wohnungsneubau flankieren.“

Jährlicher Bedarf von 65.000 Wohnungen

„Baden-Württemberg steckt tief in einer Wohnungskrise“, warnte Rolf Gaßmann, der vom Mietertag im Amt des Landesvorsitzenden bestätigt wurde. Die Schere zwischen Wohnungsangebot und Wohnungsnachfrage öffne sich immer weiter. Nach der Wohnungsbedarfsprognose des Prognos Instituts müssten jährlich mindestens 65.000 Wohnungen neu gebaut werden, damit das bestehende Wohnungsdefizit abgebaut werden kann. In den vergangenen fünf Jahren (2019 – 2023) wurden jedoch im Durchschnitt jährlich nur 35.580 Wohnungen neu gebaut. Steigende Baupreise, steigende Zinsen und Lieferengpässe hätten den Wohnungsneubau zum Erliegen gebracht. Im Jahr 2023 sei in Baden-Württemberg nur noch der Bau von 28.290 Wohnungen genehmigt worden – 13.846 Wohnungen (32,9 Prozent) weniger als im Jahr zuvor. Gaßmann warnt: „Wohnungen, die heute nicht genehmigt werden, können morgen nicht gebaut werden!“

Angesichts des Bevölkerungszuwachses von 592.290 Personen seit 2011 werde ein zusätzlicher Wophnungsbedarf ausgelöst. Der wachsende Wohnungsmangel sei Hauptursache für die ungebremste Mieteninflation. Nach Zahlen des Statistischen Landesamtes seien die Bestandsmieten im 2. Quartal 2024 um 4,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Im Durchschnitt lag der Quadratmetermietpreis in 2022 bei 10,18 Euro, in den Großstädten darüber. Die Angebotsmieten lägen noch deutlich höher. Für immer mehr Menschen sei es schwierig, eine Wohnung, geschweige denn eine bezahlbare Wohnung zu finden. Die hohen Wohnkosten brächten immer mehr Haushalte in eine prekäre wirtschaftliche Situation. „Die Landesregierung, die weitgehend tatenlos der Entwicklung auf den Wohnungsmärkten zugesehen hat, muss endlich den Turbo für die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum zünden“, wird Gaßmann in der Pressemitteilung weiter zitiert.

Wohnraumförderung als eine notwendige Zukunftsinvestition

Das Programmvolumen des Landeswohnbauförderprogramms sei viel zu gering. Zwar sei das Fördervolumen von 250 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 580 Millionen Euro im Jahr 2024 gestiegen, aber dieser Zuwachs beruhe allein auf der Erhöhung der Bundesmittel. Dass dieses Programm in keiner Weise der Wohnungsmarktsituation angemessen ist, zeigt sich daran, dass es bereits im Februar 2024 ausgeschöpft war. Förderanträge, die danach gestellt werden, können frühestens 2025 beschieden werden. Gaßmann. Alle Forderungen nach einer Erhöhung der Landesmittel, die vom Verband der Wohnungsunternehmer, von der Bauwirtschaft, der Architektenkammer, der IBA, der IG Bau und dem Deutschen Mieterbund erhoben wurde, verhallten leider ungehört.“

Andere Bundesländer haben auf den großen Bedarf an Wohnbaufördermitteln reagiert. So hat beispielsweise Schleswig-Holstein bereits im Januar die Wohnbaufördermittel 2024 um 100 Millionen Euro erhöht. Anfang Juli hat NRW das Förderkontingent 2024 von 1,7 auf 2,7 Milliarden Euro erhöht. Der Deutsche Mieterbund fordert, die Wohnbaufördermittel, die der Bund dem Land zur Verfügung stellt, müssen durch Landesmittel mindestens in gleicher Höhe zu ergänzt werden. Mit der Aufstockung des Landeswohnbauförderprogrammes 2024 auf mindestens 800 Mio. Euro könnten alle beantragten Sozialwohnungen ohne Verzögerung gebaut werden.

Die Erhöhung der Wohnbaufördermittel sei nicht nur für den Neubau dringend benötigter bezahlbarer Wohnungen, sondern auch für den Erhalt von Baukapazitäten und Arbeitsplätzen notwendig. Gaßmann: “Facharbeitskräfte im Bau, die jetzt entlassen werden, kommen nicht zurück und werden zukünftig fehlen.“ Die Wohnungswirtschaft sei neben der Automobilindustrie der bedeutende Wirtschaftsfaktor des Landes, der die Entwicklung unseres Bundeslandes bestimme. Investitionen in den Wohnungsbau seien deshalb wichtige Zukunftsinvestitionen.

Weil die Bauwirtschaft am Boden liege, könnte die Landesregierung auch von der Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse in Art. 84 der Landesverfassung Gebrauch machen: „Bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung kann von der Schuldenbremse abgewichen werden.“

Sozialen Wohnungsbau wiederbeleben

Der Sozialwohnungsbestand sei dramatisch auf nur noch rund 52.000 Sozialwohnungen zusammengeschmolzen. Weniger als ein Zehntel der berechtigten Haushalte könne tatsächlich eine Sozialwohnung beziehen. Laut der aktuellen Pestel-Studie habe Baden-Württemberg mit über 200.000 fehlenden Sozialwohnungen den größten Mangel unter allen Bundesländern zu verzeichnen. Die von der Landesregierung verkündeten 2.600 neuen Sozialbindungen im Jahr 2023 würden keine „Trendwende“ im geförderten Wohnungsbau darstellen. Es handele sich allenfalls um einen Tropfen auf den heißen Stein, denn 2023 gingen auch 800 Sozialwohnungen durch den Ablauf der Sozialbindungen verloren. Gaßmann: „Wir erinnern die Landesregierung daran, dass nach der Prognos-Wohnungsbedarfsanalyse zum Wiederaufbau eines ausreichenden Sozialwohnungsbestandes über viele Jahre jährlich mindestens 6.000 Sozialwohnungen neu gebaut werden müssen.“

Umwandlungsvorbehalt zeigt Wirkung Weil der Wohnungsneubau auf absehbare Zeit den Wohnungsmangel nicht beseitigen kann, müsse bezahlbarer Mietwohnungsbestand erhalten werden. Jährlich würden tausende bezahlbarer Mietwohnungen durch Umwandlung in Eigentumswohnungen verlorengehen. In vielen Fällen würden Mieterinnen und Mieter durch Wohnungsumwandlungen verdrängt, weil die neuen Besitzer entweder Eigenbedarf geltend machen oder eine deutlich höhere Miete fordern würden, welche die finanzielle Leistungsfähigkeit vieler Mieterhaushalte überfordere. Seit Anfang 2021 könnte die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter einen kommunalen Genehmigungsvorbehalt gestellt und damit gebremst werden, sofern eine Landesregierung die hierzu notwendige Rechtsverordnung erlasse. Gaßmann: „Unsere Landesregierung hat der Mieterverdrängung fast vier Jahre lang tatenlos zugesehen.“ Dabei habe das Beispiel Berlin verdeutlicht, dass der Umwandlungsvorbehalt tatsächlich Wirkung zeige. In Berlin trat bereits 2021 eine entsprechende Landesverordnung in Kraft, die es verbietee, Mietwohnungen ohne kommunale Genehmigung in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Im Jahr 2022 zeigte diese Verordnung erstmals die volle Wirkung: Die Zahl der Wohnungsumwandlungen sank um 40 Prozent.

Weil die Regelung (§ 250 Baugesetzbuch) bis Ende 2025 befristet sei, fordert der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg die Landesregierung auf, sich für deren zeitliche Verlängerung einzusetzen und umgehend die zum Schutz der Mieterinnen und Mieter notwendige Verordnung zu erlassen. Gleichzeitig solle die Kündigungssperrfrist bei Wohnungsumwandlungen von fünf auf zehn Jahre verlängert werden. Nach der Zensuserhebung 2022 standen 236.214 Wohnungen in Baden-Württemberg leer. Dies sei 4,3 Prozent des Wohnungsbestandes und deutlich mehr als die sechsfache jährliche Neubauleistung im Land. Weil Appelle und Anreize nicht zur Aktivierung des leerstehenden Wohnungsbestandes führen, fordert der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg Städte und Gemeinden mit Wohnraummangel auf, Satzungen zum Verbot der Wohnraumzweckentfremdung zu erlassen und ausreichend Personal vorzuhalten, um die Zweckentfremdung von Wohnraum beenden zu können.

„Mietpreise stabilisieren“

Gleichzeitig mit einer Wohnbauoffensive in Baden-Württemberg fordert der Mieterbund auf Bundesebene eine Reform des Mietpreisrechts. Die Mietpreisspirale habe seit 2023 vor dem Hintergrund der Wohnungskrise noch mehr an Dynamik gewonnen. Der Gesetzgeber müsse endlich effektive gesetzliche Regelungen zur Mietpreisstabilisierung beschließen. Der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg fordert die FDP auf, die Blockade notwendiger mietrechtlicher Reformen aufzugeben und zumindest die Umsetzung der im Koalitionsvertrag der Ampelregierung vereinbarten Reformen zeitnah zu ermöglichen: Die Mietpreisbremse müsse bis zum Jahr 2029, ohne die inzwischen bekannt gewordenen geplanten Verschlechterungen zu Lasten der Mietenden, verlängert werden. Der Umgehung der Mietpreisbremse durch möblierte Wohnungsangebote müsse ein Riegel vorgeschoben werden, indem Nettomiete und Möblierungszuschlag im Mietvertrag getrennt ausgewiesen werden. Mietpreisüberhöhungen und Mietwucher müssten durch eine Reform des Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz wieder verhindert werden können. Die Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen im Bestand müsse abgesenkt werden. Mieterhöhungen in bestehenden Mietverhältnissen müssen dauerhaft begrenzt werden. Die Datenbasis der Mietspiegelerstellung muss auf alle erhobenen Mietpreise erweitert werden.

Der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg rief außerdem Städte und Gemeinden auf, die geforderten Mietpreise in ihrem Zuständigkeitsbereich zu überwachen und Mietpreisüberhöhungen zu verfolgen. Gaßmann: „Die Beispiele aus Freiburg, Stuttgart, Esslingen und Frankfurt zeigen, dass es wirksame kommunale Handlungsoptionen zur Mietpreisstabilisierung gibt.“

Mehr, auch zur Situation in der Ortenau gibt es hier:

„Wohnungsmangel gefährdet den Wirtschaftsstandort Ortenau“

Weitere Beiträge