Offener Brief

Paukenschlag: Oberkirchs OB Bühler will Agenda 2030 auf den Prüfstand stellen

Gregor Bühler
© Benedikt Spether
Zeichnet sich in Sachen Agenda 2030 eine Wende ab? Angesichts der prekären Finanzlage des Kreises rechnet Oberkirchs OB Gregor Bühler mit einer Anhebung der Kreisumlage um fünf bis sieben Punkte. Er fordert nun in einem Offenen Brief, Großprojekte wie den Neubau von Kliniken oder des Landratsamts zu überprüfen. Sonst hätte dieser „finanzpolitische Blindflug“ drastische Folgen für die Gemeinden. So könnten Schulprojekte nicht mehr finanzierbar sein.

Bisher ist Kritik an der Klinikreform Agenda 2030 stets an den Entscheidern und Verantwortlichen für das Großprojekt abgeperlt. Ungeachtet des unüberhörbaren Unbehagens seitens der Ortenauer Bevölkerung und Kritikern wie der Kreistagsfraktion der Liste Lebenswerte Ortenau (LiLO) haben der Chef des Ortenau Klinikums, Christian Keller, der Landrat Frank Scherer und die übrigen Fraktionen von CDU, SPD, Grünen, FDP und FWV einhellig und unbeirrt das Vorhaben vorangetrieben.

Großprojekte überprüfen

Nun bekommen die Kritiker der 1,2 Milliarden Euro teuren Agenda 2030 prominente Verstärkung. Am Montag Abend und damit noch vor der Sitzung des Verwaltungsausschusses des Kreistags, sorgte der Oberkircher Oberbürgermeister Gregor Bühler für einen Paukenschlag. Der Kreis solle angesichts der prekären finanziellen Lage und des Gesundheitsnotstands die Großprojekte Klinikneubau in Offenburg, Lahr und Achern sowie den Neubau des Landratsamtes mit Kosten von 130 Millionen Euro auf den Prüfstand stellen, wie er in einem Brief an den scheidenden Landrat Frank Scherer, dessen Nachfolger Thorsten Erny sowie die Kreisräte fordert.

In der Sitzung ging es einem Bericht der Mittelbadischen Presse zufolge um das Defizit des Kreises in Höhe von 54 bis 72,5 Millionen Euro in 2024 sowie um den Standort für das geplante Landratsamt. Ein Großteil des Defizits geht auf den Verlust des Ortenau Klinikums in Höhe von 33 Millionen Euro zurück. Dieser Entstand, obwohl die Krankenhäuser Gengenbach, Ettenheim und Oberkirch bereits geschlossen sind. Gänzlich verteufeln will Bühler, der im Juni den Sprung in den Kreistag verpasste, die Agenda 2030 nicht. Die sei im Jahr 2018 aus damaliger Sicht richtig gewesen.

Prekäre Haushaltslage

Aber jetzt, angesichts der prekären Haushaltslage des Kreises, müsse der Kreis wie jedes Unternehmen und jede Kommune seine Projekte den aktuellen Entwicklungen anpassen und diese kritisch überprüfen. „Wie kann so eine Defizitzentwicklung unerwartet auftreten? – Gibt es kein Controlling, das es ermöglicht, rechtzeitig einzuschreiten?“, fragt Bühler. Das Defizit des Kreises sowie die mangelnde Unterstützung von Bund und Land hätten möglicherweise eine Erhöhung der Kreisumlage von fünf bis sieben Punkten zur Folge.

Am Beispiel seiner Stadt machte der Rathauschef, der immer für eine Überraschung gut ist, die Folgen dieser Entwicklung für die Gemeinden im Ortenaukreis deutlich: „Jeder Punkt Kreisumlage-Erhöhung bedeutet für Oberkirch eine Mehrbelastung von 300.000 Euro. Bei fünf bis sieben Punkten geht es folglich um zusätzliche 1,5 bis 2,1 Mio. Euro, die allein in Oberkirch künftig jährlich fehlen. Gemessen an den durchschnittlichen Ergebnissen der letzten Jahresabschlüsse wären dies rund 40 Prozent der Investitionskraft unserer Stadt! Die ohnehin unterfinanzierte kommunale Infrastruktur wird so gravierend weiter geschwächt, dass Investitions-Projekte im Pflichtaufgabenbereich wie Schulen und Kindergärten auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben werden müssen.“

„Alle Projekte auf den Tisch“

Das Loch in den Kreisfinanzen sei laut der Kreisverwaltung neben den steigenden Sozialausgaben wesentlich verursacht durch das Defizit des Ortenau Klinikums. Hier gehe es noch nicht um die Finanzierungskosten der Krankenhaus-Neubauten, sondern um laufende Betriebsdefizite. „Müssen nun nicht alle Projekte nochmal auf den Tisch und deren finanzielle Auswirkungen auf die Kreisumlage neu ermittelt werden? – Kann die Agenda 2030 überhaupt noch vollzogen werden, wenn sich bei weiterem Voranschreiten ein solches finanzwirtschaftliches Bild zeichnet? – Warum wird eine Grundsanierung, der alleinige Grundstückserwerb oder gar ein Neubau des Landratsamtes nicht zurückgestellt?“, fährt Bühler fort und fordert Konsequenzen.

Wenn die Finanzlage des Kreises dermaßen prekär sei, müsse jedem Verantwortlichen einleuchten, dass ein „Weiterso“ keine Lösung sei. Sowohl aktuelle als auch bevorstehende Projekte, wie der beabsichtigte Neubau des Landratsamtes, würden sich unmittelbar auf die Kreisumlage niederschlagen. Das Geld, das den Gemeinden hierfür entzogen werde, werde unmittelbar bei Bildungs- und Infrastrukturprojekten der Kommune fehlen.

Direkte Auswirkungen auf die Kommunen

Bühler, der seit 2023 im Amt ist, wählt in seinem Schreiben an die Verantwortlichen deutliche Worte: „Im Ergebnis bedeutet dies: überdimensionale Kreisumlage zulasten von Schulbauprojekten! Es kann der Eindruck entstehen, dass sich der Landkreis aktuell in einem finanzwirtschaftlichen Blindflug befindet, der auf dem Rücken der Kommunen ausgetragen wird.“ Er könne nur für Oberkirch sprechen, aber die Entscheidung, die nun getroffen wird, hat direkte Auswirkungen auf die Entwicklung aller Kommunen – und werde es weiterhin haben. Er rechne mit weiteren Erhöhungen der Kreisumlage.

Ob er beim alten und neuen Landrat und den Kreisräten Gehör findet, scheint keineswegs sicher. Wie eingangs erwähnt, stießen Kritiker bislang bei diesen stets auf Taube Ohren. Zuletzt mündete die Dominanz der Reform-Befürworter in der Kreistagssitzung vom 24. September 2024 darin, dass Landrat Frank Scherer, der sich noch am 11. Oktober bei seiner persönlichen Bilanz in einem Zeitungsartikel als Macher und Krisenmanager feiern ließ, einen lästigen Antrag der LiLO-Fraktion mit der Forderung nach Bedarfsanalyse und einem Baustopp des Klinikneubaus in Offenburg zunächst gar nicht zulassen wollte. Erst die Drohung von rechtlichen Konsequenzen durch die LiLO lies ihn einlenken.

Unbeantwortete Presseanfragen

Dennoch fand eine Debatte darüber nicht statt. Der Antrag wurde von der Ratsmehrheit abgeschmettert, ohne sich zu positionieren. So jedenfalls schreibt es die LiLO in einem Facebook-Post. Diese forderte auch, für das Konnexitätsprinzip zu kämpfen und die Investitionskosten beim Land einzuklagen. Vorschläge wie diese könnten jetzt plötzlich wieder aktuell werden. Eine Anfrage des Ortenau Journals zu dem Verhalten der Fraktionen in besagter Kreistagssitzung, in der auch die Wahl des neuen Landrats Thorsten Erny stattfand, an die SPD, die FDP und die Grünen blieb jeweils unbeantwortet. Lediglich der Grünen-Fraktionsvorsitzende Alfred Baum schrieb zurück: „Alle Entscheidungen das Ortenauklinikum betreffend wurden nach demokratischen Spielregeln getroffen und das war gut so.“

Gregor Bühler hat klar dargelegt, wohin der Weg, sofern er nicht korrigiert werde, hinführe. Was für Oberkirch gilt, gilt natürlich auch für alle anderen Städte und Gemeinden im Kreis. Bekanntermaßen sitzen im Kreisparlament etliche Bürgermeisterkollegen, die sich auch schon ihre Gedanken gemacht haben dürften. Vielleicht kommt nun das ein oder andere Stadtoberhaupt aus der Deckung. In der Ortenau wird nun jedenfalls mit Spannung erwartet, welche Wirkung der Offene Brief beim Landrat und den Kreisräten entfaltet. Es könnte im Ergebnis bis zum bislang Unaussprechlichen gehen, um den „finanzpolitischen Blindflug“ (Bühler) abzumildern: Der Aussetzung oder Änderung der Agenda 2030, dem Lebenswerk des scheidenden Landrats Frank Scherer.

Wolfgang Huber

Siehe auch:

Agenda 2030: LiLO fordert Baustopp für Krankenhaus Offenburg

Ortenau Klinikum: Bilanzverlust von 33,1 Millionen Euro

Klinikneubau Offenburg: „Modern, schön und nachhaltig2

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