Saskia Ganter und Richard Groß wurden Ende September zur neuen Doppelspitze der Ortenauer SPD gewählt. Nach einer kurzen Findungsphase stehen nun vorgezogene Neuwahlen an. Im Interview mit dem Ortenau Journal verraten sie, was den designierten SPD-Kandidaten Dirk Flacke auszeichnet, benennen die Themenschwerpunkte, sprechen über die Jusos und den wirtschaftspolitischen Leitantrag, der am vergangenen Wochenende beim Landesparteitag in Offenburg beschlossen wurde.
Ortenau Journal: Der Bundestagswahlkreis Offenburg wurde jahrzehntelang von Wolfgang Schäuble dominiert. Johannes Rothenberger ist sein designierter Nachfolger im Bundestag. Für die Grünen tritt Ann-Margret Amui-Vedel an und die FDP schickt mit Martin Gassner-Herz einen bereits erfahrenen Kandidaten ins Rennen. Die AfD tritt erneut mit Taras Maygutiak an. Sie haben kürzlich bekannt gegeben, dass sie mit Dirk Flacke in den Wahlkampf ziehen wollen. Was zeichnet ihn aus?
Saskia Ganter: Er ist ein Genosse, wie er im Buche steht. Ein Betriebsrat, Gewerkschafter, Lokführer. Sehr engagiert. Er ist genau das, was die Ortenau braucht.
Richard Groß: Wir wollen Dirk Flacke am 28. November offiziell nominieren.
Ortenau Journal: Mit welchen Themen kann und will sich der künftige SPD-Kandidat in dieser Riege erfolgreich positionieren?
Richard Groß: Zum einen wollen wir die Sozialpolitik betonen. Da spielen auch die Bereiche Arbeits- und Tarifpolitik mit rein. Das ist seine Stärke. Die innere sowie die außenpolitische Sicherheit werden eine Rolle spielen. Als Eisenbahner wird er zudem einen Fokus auf Infrastruktur und Verkehrspolitik legen.
Ortenau Journal: Sie haben bei der Kreisversammlung Ende September die Parole „Die Ortenau muss rot werden“ ausgegeben. Dabei hatte die SPD traditionell gegen die CDU immer das Nachsehen. Was macht sie so zuversichtlich, dass es diesmal klappt?
Saskia Ganter: Zum einen der Kandidat, der für die ganz traditionellen sozialdemokratischen Werte steht. Dirk Flacke kann Menschen überzeugen und begeistern. Und nicht zuletzt glaube ich, dass es Zeit ist für eine sozialdemokratische Ortenau. Die Chancen stehen so gut wie nie, da auch die Notwendigkeit einer Wachablösung so groß ist wie nie zuvor.
Ortenau Journal: Ziehen sie ihre Zuversicht aus dem Umstand, dass nun in der Nach-Schäuble-Ära die Karten neu gemischt werden?
Saskia Ganter: Das spielt sicherlich auch ein Rolle.
Ortenau Journal: Ist die Kreis-SPD auf den Wahlkampf vorbereitet und ist sie im Jahr 2024 überhaupt noch kampagnenfähig?
Saskia Ganter: Wenn die SPD Ortenau eines kann, dann ist es definitiv Wahlkampf.
Ortenau Journal: Das Durchschnittsalter der SPD-Mitglieder war ja schon vor 25 Jahren sehr hoch. Gibt es da jetzt genug Leute, die im Wahlkampf helfen können?
Richard Groß: Wir haben sehr viele Parteieintritte gehabt seit Jahresbeginn, jetzt auch wieder nach dem Aus der Ampel-Koalition. Und wir haben eine starke Struktur bei den Jusos in der Ortenau. Die sind sehr umtriebig. Das freut uns sehr.
Saskia Ganter: Ich kann nicht darüber sprechen, was vor 25 Jahren war. Aber der Altersdurchschnitt ist schon immer noch recht hoch. Dennoch: Wenn man sich die Mitglieder anschaut, dann haben wir in allen Altersgruppen genug Leute, die mit anpacken und die tatsächlich aktiv sind und mitmachen.
Ortenau Journal: Im Bundestag sitzen derzeit 49 Jusos, so viele wie noch nie. Ist die Tendenz, dass junge, gut ausgebildete Talente zur SPD kommen, auch in der Ortenau spürbar?
Saskia Ganter: Ja definitiv. Unsere Ortenauer Jusos sind politisch extrem breit aufgestellt. Und sie sind tatsächlich gut ausgebildet. Man hat das im letzten Kommunalwahlkampf im Juni gesehen, als sehr viele Jusos in die Gemeinderäte gewählt wurden und ältere Genossinnen und Genossen beerbt haben.
Ortenau Journal: Kommen wir zum vielleicht spannendsten Thema: Laut Forsa würden starke 39 % der Wahlberechtigten bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers Boris Pistorius bevorzugen. Er ist der mit Abstand beliebteste Politiker in Deutschland. Merz ist mit 26 % weit abgeschlagen. Olaf Scholz ist sogar Schlusslicht im Politiker-Ranking. Er wird als der schwächste Bundeskanzler in der deutschen Nachkriegsgeschichte wahrgenommen. Wäre es da nicht naheliegend, dem Verteidigungsminister den Vortritt zu lassen?
Richard Groß: Olaf Scholz hat in den letzten drei Jahren die Regierung zusammengehalten. Das hat ihn ausgezeichnet. Und das bei einem wirklich unsozialen Koalitionspartner. Man hat ja auch am letzten Wochenende gesehen, was da alles im Hintergrund lief laut der „Zeit“-Recherche. Olaf Scholz kann gut führen. Er hat sehr viel moderiert. Jetzt kann man natürlich streiten, ob das angebracht war. Wir meinen ja. Dieses von oben runter durchregieren ist heute nicht mehr zeitgemäß. Man darf auch nicht vergessen: Wir hatten noch nie eine Dreierkoalition in Deutschland. Es war das erste mal, dass ein Bundeskanzler vor der Aufgabe stand, zwei ungleiche Koalitionspartner wie die FDP und die Grünen zu vereinen und zum Wohle des Landes zu moderieren. Wenn man die Ergebnisse zugrunde legt, hat die Regierung das gut gemacht. Wir hatten seit achtzig Jahren keinen Krieg mehr in Europa, dann waren da noch die Pandemie und die Energiekrise. Von daher finde ich es nicht fair zu sagen, er sei der schlechteste Bundeskanzler mit der schlechtesten Regierung. Die Ausgangslage war so schwer wie noch nie.
Ortenau Journal: Er wird zumindest in der Öffentlichkeit als schwach wahrgenommen. Es dürfte sehr schwer fallen, in den wenigen Wochen bis zur Wahl noch das Ruder rumzureißen.
Richard Groß: Ich denke, wenn Olaf Scholz es so macht wie am Abend des 6. November bei seiner Ansprache, nachdem die Ampel auseinander gebrochen war, dann werden die Menschen verstehen, dass er führen kann. Davon bin ich überzeugt.
Ortenau Journal: Was sagen sie zu den anhaltenden Diskussionen um die K-Frage, die allmählich auf einen Höhepunkt zusteuern. Immer mehr Genossen kommen aus der Deckung und sprechen sich für Boris Pistorius aus. Wie wollen sie diese Entwicklung stoppen?
Richard Groß: Am wichtigsten ist die Geschlossenheit der Partei. Das muss einfach sitzen.
Ortenau Journal: Kommen wir auf den Kreisverband zurück. Die SPD ist mit 11 Mitgliedern im Kreistag vertreten. Wie läuft da die Kommunikation zwischen Kreisverband und der Fraktion im Kreistag?
Richard Groß: Der Kreisvorstand ist jetzt erst seit ein paar Wochen im Amt. Die Kreisräte sind auch erst im Sommer gewählt worden. Wir mussten uns alle erstmal finden, was wir auch getan haben. Jetzt kommt noch die Bundestagswahl dazu. Wir hätten uns schon gewünscht, dass es etwas langsamer geht. Aber die Kommunikation stimmt. Da geht es um Abstimmungsprozesse. Im Kommunalwahlkampf ging es darum, was da die Kreisräte leisten können und das hat gut funktioniert. Mit Erdi Ayhan ist jetzt auch ein ehemaliges Vorstandsmitglied im Kreistag. Und auch da läuft die Kommunikation sehr gut.
Saskia Ganter: Es nimmt auch an jeder Kreisvorstandsitzung ein Kreistagsmitglied teil. Also das funktioniert alles. Das ist auch auf Ortsvereinsebene nicht anders zwischen den politischen Gremien und den Parteigremien. Richard Groß und Hans-Peter Kopp haben auch einen guten Draht zueinander. Da gibt es einen regen Austausch von Ideen.
Ortenau Journal: Stimmen sie sich da auch inhaltlich ab?
Richard Groß: Ja, wir haben beispielsweise auch das Wahlprogramm eng miteinander abgestimmt.
Ortenau Journal: Vor wenigen Wochen hat der Oberkircher OB Gregor Bühler die Großprojekte des Kreises infrage gestellt, weil die Finanzierung auf wackligen Beinen steht. Es gibt ein riesiges Haushaltsdefizit. Wahrscheinlich muss die Kreisumlage erhöht werden, was wiederum die Städte und Gemeinden erheblich belasten würde. Würden sie dennoch an der Agenda 2030 in der jetzigen Form festhalten oder sehen sie da Diskussionsbedarf?
Richard Groß: Die Agenda 2030, wie sie schon seit langem auf den Weg gebracht wurde, halte ich grundsätzlich für richtig. Man kann natürlich darüber streiten, ob ein Großklinikum notwendig ist. Ich erachte es als sinnvoll. Ich komme selbst aus der Pflege. Es gibt nun mal einen enormen Fachkräftemangel. Mitarbeiter und Personal gehen dahin, wo es am attraktivsten ist. Das können größere Häuser meines Erachtens besser leisten als viele kleine Einrichtungen. Von daher kann ich die Ausrichtung der Agenda 2030 schon verstehen. Auch wenn das viele in den kleineren Ortschaften nicht gerne hören.
Ortenau Journal: Die Wirtschaftspolitik war und ist das derzeit dominierende innenpolitische Thema. Wie hat sich der Landesparteitag am vergangenen Wochenende in Offenburg dazu positioniert?
Saskia Ganter: Mit ihrem Leitantrag „Zukunft.Gemeinsam.Machen“ hat die Landes-SPD beschrieben, dass wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen müssen. Unser Landesvorsitzender Andreas Stoch hat deutlich gemacht, dass wir in Baden-Württemberg kein Schuldenproblem, sondern ein Investitionsproblem haben. Das sieht man im Vergleich zu anderen Bundesländern und das hört man hier auch ganz deutlich aus der Wirtschaft. Und wenn wir das der CDU immer wieder erklären müssen, dann fragen wir uns, woher der Eindruck kommt, dass die Union Wirtschaftskompetenz besitze. Das ist nämlich nicht der Fall. Und deshalb geht es auch bei der Bundestagswahl um eine Richtungsentscheidung.
Richard Groß: Diese Wahl entscheidet zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz, und damit vor allem zwischen einer SPD-Politik für Morgen und einer neokapitalistischen Retro-Politik aus dem vergangenen Jahrhundert. Es geht um Wirtschaftspolitik entweder mit Merz für die Reichen oder mit der SPD für alle Leistungsträger in der Gesellschaft.
Saskia Ganter: Denn Wieviel jemand leistet, lässt sich nicht an seinem Besitz ablesen.
Interview von Wolfgang Huber
Siehe auch:
Johannes Rothenberger tritt die Nachfolge von Wolfgang Schäuble an
FDP Ortenau: Martin Gassner-Herz kandidiert erneut für den Bundestag
Ann-Margret Amui-Vedel: Neue Kandidatin der Grünen für den Wahlkreis Offenburg
AfD stellt Taras Maygutiak für den Bundestagswahlkreis Offenburg auf
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