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Exklusiv-Interview Teil 1

Tim Otto Roth: „Wo Natur drauf steht, ist auch Natur drin“

Der Künstler Tim Otto Roth
© Miriam Seidler imachination labs
Der renommierte Konzeptkünstler, Komponist und Kunsthistoriker Tim Otto Roth lebt und arbeitet in Oppenau und in Köln. Mit seinen Klanginstallationen und visuellen Arbeiten setzt er internationale Maßstäbe. Im großen Exklusiv-Interview mit dem Ortenau Journal spricht der 50-Jährige über die Anfänge seiner Karriere, seine bahnbrechendsten Projekte und die Kernidee seiner Skulptur „NATUR“, die in Oppenau für Kontroversen sorgte.

Tim Otto Roth blickt auf eine lange, erfolgreiche Karriere als Konzeptkünstler, Komponist und Kunsthistoriker zurück. Seine Klanginstallationen werden weltweit ausgestellt und setzen international Maßstäbe. Seine „NATUR“-Skulptur führte vor zwei Jahren zu einer politischen und gesellschaftlichen Kontroverse in seiner Heimatstadt Oppenau. Für ein ausführliches Exklusiv-Interview besuchte das Ortenau Journal den 50-Jährigen in seinem Atelier in Oppenau. Dabei beschreibt er die Anfänge seiner Karriere, die Funktionsweise seiner Installationen und was er selbst über die damaligen Diskussionen über seine Skulptur heute denkt.

Ortenau Journal: Du blickst auf eine lange, akademische Laufbahn zurück. Angefangen hat es mit dem Studium der Philosophie und Politik. Danach bist du an die Kunsthochschule Kassel gewechselt. Dort hast du einen Abschluss in freier Kunst gemacht. War dieser Schritt geplant oder hast du die Entscheidung, in die Kunst zu gehen, eher kurzfristig getroffen?

Tim Otto Roth: Es gab nie eine eigentliche Entscheidung für die Kunst, sondern es ist mehr eine Fügung, die über einige Umwege erfolgte. Ich hatte zuerst begeistert Philosophie und Politik in Tübingen studiert. Mein Schwerpunkt lag damals auf Umweltethik und Politik der internationalen Beziehungen mit dem Fokus auf Entwicklungspolitik. Recht früh gerieben hatte ich mich dabei an der Sprachlastigkeit der wissenschaftlichen Methodik, was ich als zu einseitig empfand. Schon während meiner Schulzeit fotografierte ich leidenschaftlich und durch einen glücklichen Zufall stellte ich in Tübingen in einer kleinen Künstlergalerie einige meiner experimentellen Fotoarbeiten aus. Das ließ die Idee aufkeimen, sich bei einer Akademie zu bewerben. In dem Kontext sollte nicht unerwähnt bleiben, dass ich damals überhaupt nicht kunstaffin war. Ich hatte Kunst in der Oberstufe abgewählt, kaum ein Museum besucht. Aber mich hat die Fotografie als technisches Medium interessiert, dem ich bildkritisch begegnen wollte. Es ging mir um die Frage „Was kann das fotografische Bild?“ Das hat mich schließlich an die Akademie gebracht, was in den 90er Jahren alles andere als trivial war, weil man damals überhaupt nur an vier oder fünf Kunsthochschulen in Deutschland Fotografie studieren konnte. Eine davon war Kassel. Ich habe dann eine Mappe gemacht und wurde prompt aufgenommen, so haben die Dinge ihren Lauf genommen. Wer meine heutige Arbeit kennt, fragt sich: Wieso Fotografie? Damit macht der doch im engeren Sinne gar nichts. Das einzige, wo diese Auseinandersetzung Spuren hinterlassen hat – ich habe schließlich das ganze Grundstudium der Fotografie durchlaufen – sind die Dokumentationen unserer Arbeiten, die wir meistens selber machen, weil ich das von der Pike auf gelernt habe.

Ortenau Journal: 2008 hast du dich an der Kunsthochschule für Medien Köln eingeschrieben. Deine 500-seitige Dissertationsschrift von 2014 hat den Titel „Körper. Projektion. Bild | Eine Kunstgeschichte der Schattenbilder“. Kannst du uns in fünf Sätzen beschreiben, wo diese Kunstgeschichte begann und wo sie heute steht?

Tim Otto Roth: Ich muß den Titel ein klein wenig korrigieren: Es ist mehr als eine Kunstgeschichte, es ist eine Kulturgeschichte. Die Spuren gehen zurück nach Kassel. Floris M. Neusüss, bei dem ich studiert habe, war zwar formal Professor für experimentelle Fotografie, aber er hat eigentlich etwas anderes gemacht. Er hat bei der Fotografie einfach die Kamera weggelassen und Objekte direkt auf Fotopapier gelegt und belichtet. Dann erhält man ein negatives Schattenbild. Das hat mich infiziert, ich habe dann eigene Ansätze entwickelt und 2000 meinen Abschluss mit projizierten Videoschatten gemacht: Ich habe also bei einer Videokamera das Objektiv weggenommen und Objekte direkt auf den Video-Chip gelegt und drumherum Lichtbewegungen mit einem eigens konstruierten Lichtroboter erzeugt.

Ortenau Journal: Und wie kam es zur theoretischen Arbeit?

Tim Otto Roth: Mein Professor hat seine Schattenbildkritik nicht nur als Künstler betrieben, sondern zusammen mit seiner Partnerin Renate Heyne hat er auch dazu intensiv geforscht, ein einmaliges Archiv angelegt, das sich heute am Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) befindet, und ein dickes Buch publiziert. Das, was deren Forschung zu Schattenbildern so anders macht, ist, dass sie als Macher im Unterschied zu Kunsthistorikern diese ungewöhnlichen Bildwelten von Innen heraus verstehen. Aus dieser Bildpraxis heraus gewinnt man zu Schattenbildern und deren Geschichte einen ganz anderen Zugang. In meiner Forschung geht es darum, herauszuarbeiten, dass Schattenbilder, für die sich in Fachkreisen die unglückliche Bezeichnung Fotogramm eingebürgert hat, nicht einfach eine kameralose Form von Fotografie sind – also eine Fotografie minus X –, sondern eine ganz eigene Bildwelt für sich konstituieren. Das kann man sehr gut verdeutlichen anhand von Röntgenbildern: Jeder von uns erinnert sich an die erste Konfrontation mit dem Röntgenbild seines eigenen Körpers beim Arzt, die sofort klar macht, dass dieses Bild kein Foto sein kann, auch wenn es auf einem lichtempfindlichen Film festgehalten wurde. Das liegt maßgeblich an der besonderen räumlichen Darstellung, die nicht durch eine Linse hervorgerufen wird, sondern durch die Projektion des Schattens des Körpers, der auf dem lichtempfindlichen Material exponiert ist. Wenn ich Schatten im sichtbaren Licht projiziere, dann kann ich diesen abmalen oder ich halte diesen automatisch auf Fotopapier oder Film fest. Aus dieser ganz eigenen Form von Bildkultur, die auf ganz besondere Weise Räumlichkeit in Bildern konstruiert, habe ich eine eigene Bildtheorie abgeleitet, die bis zurück in die steinzeitliche Höhle reicht.

Ortenau Journal: Du hast bereits 2004 den internationalen Medienkunstpreis von ZKM und SWR für deine Arbeit „I see what I see not“ verliehen bekommen. Haben solche Auszeichnungen eine besondere Bedeutung für dich?

Tim Otto Roth: Die besondere Bedeutung merkt man an einem veränderten Umgang: Auf einmal kommen Anfragen, man wird zu Vorträgen oder Projekten eingeladen – man ist sozusagen „hot“. Ich hatte in dem Jahr gleich zwei Auszeichnungen erhalten. Erst im Frühjahr den LUX.US Lichtkunstpreis und dann im Herbst den Medienkunst-Preis, der noch mehr internationale Strahlkraft hatte. Daraus hat sich z.B. die Kooperation mit der Europäischen Raumfahrtagentur ESA entwickelt. So wurde ich dazu eingeladen, ein Konzept zu entwickeln, wie man die internationale Raumstation ISS kulturell nutzen könnte. Daraus ergaben sich wieder neue Kontakte mit Wissenschaftlern. So habe ich beispielsweise auch den Astroteilchenphysiker Andreas Haungs vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) kennengelernt, der im Juli hier im Studio in Oppenau zu Gast beim „Heimspiel Wissenschaft“ war. So kommt ein Steinchen zum anderen.

Ortenau Journal: Eines deiner zentralen Themen ist die unsichtbare Natur. Deine Arbeit [aiskju:b], die u.a. in Paris und Berlin zu erleben war, macht durch Licht- und Klanginstallationen kosmische Strahlung sichtbar. Ist diese Arbeit ein Meilenstein in deinem künstlerischen Schaffen?

Tim Otto Roth: [aiskju:b] ist neben dem etwas älteren „Heaven´s Carousel“ und dem „Theatre of Memory“, das letzten Winter Premiere in Berlin feierte, eines meiner Flagship-Projekte. Man kann diese als Meilensteine bezeichnen, da sie auf einmalige Weise klangkünstlerisch auf den Raum reagieren – jedes Projekt auf seine Art und Weise. So etwas gibt es kein zweites Mal und hebt diese Arbeiten international heraus.
Die Ortenauer haben 2020 ja selbst erleben können, dass das „Heaven´s Carousel“ nicht nur eine Klanginstallation ist, sondern ein elektroakustisches Musiktheater. Es werden ja nicht nur Töne bewegt, sondern jedem Ton ist auch ein farbiges Licht zugeordnet. Wenn im Raum ein Lautsprecher aktiv ist, dann leuchtet dieser auf. Wenn ich nur die Lautsprecher hören würde, wäre das zwar klanglich auch ein cooles Erlebnis, aber es bliebe abstrakt, räumlich nicht greifbar. Unsere Ohren können zwar gut Tonhöhen und Tonunterschiede auflösen – da sind unsere Ohren viel besser als unsere Augen – aber ich weiß halt nur, aus welcher Richtung etwas ungefähr kam, kann dies aber nicht genauer lokalisieren. Das ist als wenn man ein unsichtbares Symphonieorchester hätte und man auf eine leere Bühne gucken würde. Ähnlich verhält es sich mit der sogenannten elektroakustischen Musik: Man hat einen Haufen Lautsprecher, aber man weiß nicht so genau, wo die Klänge eigentlich herkommen. Und diesen Ort von Klanggeschehen bringe ich durch das Licht wieder zurück – die Klanginstallation wandelt sich so zum elektroakustischen Musiktheater. Man kann sogar, wie bei [aiskju:b], unmittelbar an den Lautsprechern vorbeigehen. Das bringt auf einmal eine starke physische Präsenz, eine Körperlichkeit zurück, die für mich ganz zentral ist, weil Musik ansonsten oft viel abstrakter als rein zeitbasiertes Medium gedacht wird.

Ortenau Journal: Du hast „Heaven´s Carousel“ angesprochen. Mit deinen elektroakustischen Werken verbindest du die Welt der Bildenden Kunst mit der Musik. Der rotierende Klangbeschleuniger „Heaven´s Carousel“ ist ebenfalls ein solches elektroakustisches Musiktheater. Es war in Rom und Baltimore, USA, zu sehen bzw. zu hören. Was ist der Unterschied zwischen [aiskju:b] und dem „Heaven´s Carousel“?

Tim Otto Roth: Also rein technisch gesprochen werden beim „Heaven´s Carousel“, das auch in Karlsruhe, in Köln oder Bad Reichenhall zu erleben war, 36 Klangkörper physisch bewegt. Diese hängen wie bei einem Kettenkarussell aus 10 Metern Höhe meistens von einem Kran. Dann fängt das Ganze an, sich zu drehen und es entstehen drei Ringe mit jeweils 12 kreisenden Lautsprechern. Diese Bewegungen rufen den sogenannten Doppler-Effekt hervor: Dieser wurde in den 1840er Jahren von dem österreichischen Wissenschaftler Christian Doppler postuliert und besagt, dass wenn eine Tonquelle auf mich zugeflogen kommt, ein Ton höher klingt, und wenn er weg fliegt, tiefer. Das kennt jeder von uns vom vorbeirauschenden Tatü Tata einer Ambulanz. Diesen Effekt nutze ich musikalisch, indem man sich diesen interaktiv erschließen und sein eigenes Konzert kreieren kann, in dem man sich unter den kreisenden Lautsprechern bewegt. Im Zentrum habe ich ja immer den selben Abstand zu den Lautsprechern, so dass ich keine Tonhöhenveränderungen wahrnehme. Je mehr ich aber nach außen gehe, desto mehr kommen diese Verschiebungen zum Tragen, um so mehr fangen die Tonhöhen an zu oszillieren und zu wabern. Bei [aiskju:b] verhält es sich mit der wesentliche größeren Anzahl an Lautsprechern völlig anders. Es geht darum, Klangbewegung im Raum dadurch zu erzeugen, dass ich Klänge von einem Lautsprecher zum nächsten springen lasse. Deswegen brauche ich so viele, 444 Lautsprecher in der Zahl, um ansprechende Bewegungen im Raum hinzubekommen.

Ortenau Journal: Ich vermute, dass sich dadurch auch die gespielten Stücke gravierend unterscheiden?

Tim Otto Roth: Beim „Heaven´s Carousel“ habe ich viel abstraktere Kompositionen, bei denen ich die Lautsprecher auf den drei Kreisebenen gewisse Muster und Tonfolgen spielen lasse, diese variiere und dabei sehr überraschende Kombinationseffekte entstehen lasse. Bei [aiskju:b] greife ich überwiegend auf eine schon fertige ‚natürliche Partitur‘ zurück: Das sind Lichtbewegungen, die an völlig abgelegenen Orten aufgezeichnet werden, wie z.B. in eineinhalb Kilometern Tiefe im antarktischen Eis. Da denkt man sofort, dass es in dieser Tiefe doch zappenduster sein müsse. Wo kommt denn dann das Licht her? Die Antwort darauf hat uns hier kürzlich Andreas Haungs beim „Heimspiel Wissenschaft“ gegeben, indem er aufzeigte, dass wir stetig einer unsichtbaren Teilchenstrahlung ausgesetzt sind, da die Erde kontinuierlich mit hochenergetischen Elementarteilchen aus dem All bombardiert wird, die dann mit Molekülen der Atmosphäre interagieren. Diese Spaltprodukte gehen die ganze Zeit nicht nur durch uns durch, sondern rufen in einem Medium wie Eis in der Bewegungsrichtung ganz kurze mit bloßem Auge nicht sichtbare Lichtbewegungen aus.

Ortenau Journal: Da wurden also in der Antarktis Löcher gebohrt, Sensoren darin platziert, und die haben dann die Lichtspuren aufgezeichnet.

Tim Otto Roth: Genau. Für das IceCube Neutrino Observatorium wurden am Südpol über 80 zweieinhalb Kilometer tiefe Löcher geschmolzen und zweieinhalb Kilometer lange Stränge runtergelassen mit jeweils 60 Lichtdetektormodulen an den untersten eineinhalb Kilometern. Das sind über 5.000 einzelne Lichtdetektoren, die prinzipiell in der Lage sind, jeweils ein einzelnes Lichtteilchen aufzuzeichnen in einer unglaublichen zeitlichen Präzision. Licht bewegt sich ja bekanntermaßen in Lichtgeschwindigkeit, d.h. die Detektoren müssen im Nanosekundenbereich messen.

Ortenau Journal: Das heißt, diese Teilchen durchdringen Materie.

Tim Otto Roth: Genau, aber nur bis zu einer bestimmten Tiefe. Jetzt wird es etwas kompliziert. Eigentlich möchte man diese normale kosmische Strahlung, wovon 100.000 Teilchen pro Minute einen menschlichen Körper passieren, ohne dass wir davon etwas mitbekommen, eigentlich gar nicht messen, weil man nach viel verrückteren Teilchen sucht. Und zwar nach Teilchen, die in der Lage sind, durch den ganzen Globus hindurchzufliegen. Hier nutzt man das Wissen, dass diese Lichtbewegungen immer in der Flugrichtung eines Teilchens verlaufen. Dieses Observatorium wurde deshalb für den einen Zweck gebaut, um Teilchenbewegungen zu registrieren, die von unten nach oben gehen. Denn dann ist klar: Das kann nur von einem Teilchen hervorgerufen worden sein, dass es geschafft hat, einmal durch den ganzen Globus zu wandern: das sind die sogenannten Geisterteilchen, die Neutrinos. Von diesen Neutrinos fliegen pro Sekunde durch einen Quadratzentimeter, das ist die Größe eines Fingernagels, rund vier Milliarden Teilchen, ohne dass wir davon was merken. Weil diese Teilchen ganz selten mit Materie interagieren, sind diese sehr schwer nachzuweisen. Deswegen baut man so große Anlagen wie IceCube, um über das riesige Eisvolumen eine dieser seltenen Wechselwirkungen zu registrieren.

Ortenau Journal: Du hast Standorte in Köln und Oppenau. Deine Verbundenheit zur Heimat Schwarzwald drückt sich auch in einigen deiner Werke aus. Wie z.B. bei „Mummelsee in der Pfanne“ oder der Skulptur „NATUR“. Bei der „NATUR“-Skulptur auf der Kleinebene geht es um die Vergänglichkeit und den Zerfall des Werkstoffs Holz in natürlicher Umgebung. Kann man das so zusammenfassen?

Tim Otto Roth: Um die Liste zu vervollständigen: Ich habe in Oppenau auch mit ‚Memento 190‘ vor zehn Jahren ein Projekt zum Kriegerdenkmal realisiert, das ja temporär entfernt wurde. Bei „NATUR“ gibt es viele Ansatzpunkte. Das Motto von Natur ist: Wo Natur drauf steht, ist auch Natur drin. Die Frage ist: Was ist die Konsequenz davon? Natur lässt im Frühling viel entstehen, aber jetzt geht es ja auf den Herbst zu. Da bedeutet Natur auch Verfall, der wiederum Voraussetzungen für den nächsten Frühling schafft: Diese Mischung aus Morbidität und Natalität ist essentiell und dafür steht letzten Endes auch „NATUR“. Das lässt sich natürlich bombig in dem Werkstoff Holz ausdrücken, mit dem ich künstlerisch in der Art bislang nicht gearbeitet habe. Aber dieses Einlassen auf neue Ideen und Materialien zeichnet unser Studio aus: Wir entwickeln Fragestellungen und versuchen passende mediale Antworten darauf zu finden.

Ortenau Journal: Und die Fragestellung wäre?

Tim Otto Roth: Die zentrale Frage lautet: Was verstehen wir eigentlich unter Natur? Typographisch gesehen setzt das Projekt ja bei der Tautologie von Hollywood an: Wenn ich an einem Ort riesengroß den Ortsnamen oben drüber geschrieben sehe, muss ich mich fragen, wo da der Mehrwert liegt. Das ist oberflächliche Werbelogik, aber keine Kunst. Daraus entsteht ja keinerlei Irritation. Aber genau diese will Kunst bekanntlich schaffen. Die Kernidee von NATUR ist letztlich, wie man mit Hollywood-Mitteln ein großes Fragezeichen auf den Berg stellen kann. Ich wurde auch schon gefragt: „Warum schreibst du nicht Wald da oben hin?“ Wald erzeugt jedoch nicht diese Ambivalenz, diese Mehrdeutigkeit. Wenn ich aber auf den Berg NATUR in Großbuchstaben setze, da beginnen wir uns spätestens auf den zweiten Blick zu fragen: „Ja, was ist denn jetzt mit Natur gemeint?“ Somit gesellt sich eigentlich noch ein unsichtbares großes Fragezeichen hinter die fünf Buchstaben. Und damit spielen wir auf völlig unterschiedlichen Ebenen – von der Typographie bis hin zur Konstruktionsweise. Ähnlich wie bei den Klanginstallationen greift unser Studio auch hier neue technologische Entwicklungen auf. Derart wurde bislang noch keine solche Skulptur realisiert, die frei steht und die tatsächlich ohne Metall, Kunststoff oder Beton, sondern tatsächlich rein mit Naturmaterialien umgesetzt wurde.

Ortenau Journal: Die Skulptur trägt sich praktisch mit ihrem eigenen Gewicht.

Tim Otto Roth: Genau, mittels formschlüssiger Verbindungen stabilisieren sich die ineinander gefügten Balken gegenseitig.

Interview: Wolfgang Huber

Siehe auch:

Exklusiv-Interview Teil 2 – Tim Otto Roth: „In der Stunde Null stand hier so gut wie kein Baum mehr“

In Teil 2 des Interviews verrät uns Tim Otto Roth, was er heute über die öffentlichen Diskussionen 2022 in Oppenau über seine „NATUR“-Skulptur, den Gemeinderat und den Bügermeister Gaiser denkt. Außerdem erklärt er, wie sich der Schwarzwald in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat und was das Waldsterben der 80er Jahre mit dem Verschwinden des Schwarzwalds, wie wir ihn heute kennen, zu tun hat. Für die Windkraftgegner hat er eine klare Botschaft.

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