Wirtschaftsstandort

IHK-Präsident Liebherr fordert Entlastungen: „Houston, wir haben ein Problem“

IHK-Neujahrsempfang
© Michael Bode
Angesichts der vielfältigen Herausforderungen hat die Wirtschaft Gesprächsbedarf, was beim traditionellen Neujahrsempfang der IHK Südlicher Oberrhein am Montag erneut zum Ausdruck kam. IHK- Präsident Eberhard Liebherr und Hauptgeschäftsführer Dr. Dieter Salomon beschrieben vor mehr als 1.500 Gästen im Freiburger Konzerthaus die schwierige Lage für die heimischen Unternehmen. Beide fordern Entlastungen für die Wirtschaft und weniger Bürokratie.

Immer lauter werden die Rufe aus allen Ecken der Gesellschaft und der Wirtschaft: Die Politik müsse endlich die überbordende Bürokratie zurück stutzen, heißt es. Die Probleme sind bekannt und im aktuellen Bundestagswahlkampf verspricht praktisch jede Partei Bürokratieabbau. Das kennt man schon von früheren Wahlkämpfen. Erstmal im Amt, folgen den Ankündigungen dann kaum spürbare Maßnahmen.

Drohende Deindustrialisierung

Doch auch beim Thema Energiekosten ist die Situation ernst. Mit den Rahmenbedingungen, die international nicht wettbewerbsfähig sind, geraten deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt zunehmend unter Druck. Die USA und China können zu weit besseren Preisen produzieren. Die Folge: Immer mehr Unternehmen planen, den heimischen Standort zu verlassen und die Produktion ins Ausland zu verlegen. In Deutschland droht eine schleichende Deindustrialisierung.

Entsprechend eindringlich sind auch die regelmäßigen Appelle der Wirtschaftsverbände und Unternehmenslenker, hier endlich Abhilfe zu schaffen. Der Druck auf die Politik steigt, schnell die nötigen Reformen anzugehen. So haben die Wirtschaftsvertreter auch beim Neujahrsempfang der IHK Südlicher Oberrhein ihren Forderungen Nachdruck verschafft. Bleibt abzuwarten, ob davon etwas ins Bewusstsein der Verantwortlichen in Bund und Land vordringt.

Hoher Innovationsdruck

„Wer mich kennt, weiß, dass ich kein Schwarzmaler bin“, begrüßte Eberhard Liebherr die Gäste laut einer IHK-Pressemitteilung im Freiburger Konzerthaus. „Doch die großen Herausforderungen, vor denen die Wirtschaft in Deutschland derzeit steht, konnten und sollten an diesem Abend auch nicht verschwiegen werden. Wir wissen, welche großen Aufgaben auf die kommende Regierung zukommen werden, und das sind leider hausgemachte Strukturprobleme. Wir haben eine Industriekrise in Deutschland in einer Zeit, in der der Innovationsdruck noch nie so hoch war.“

Jetzt komme es auf das richtige Bewusstsein an. „Ohne Optimismus kommt man aus keiner Krise heraus, man muss die Krise aber trotzdem als Krise anerkennen“, so Dieter Salomon. Die Mängelliste sei lang: „Seit zehn Jahren steigen die Lohn-Stück-Kosten in Deutschland. Die Industrieproduktion sinkt. Die Energiekosten sind international viel zu hoch, die Unternehmenssteuern weltweit an der Spitze.

Investitionen im Ausland

Die Bürokratie und Regulatorik seien überbordend, deutsche Unternehmen investieren – wenn überhaupt – im Ausland, ausländische Unternehmen kaum noch in Deutschland. Mit anderen Worten: Houston, wir haben ein Problem.“ Zentral sei es, den vier großen Ds mit voller Kraft entgegenzutreten beziehungsweise sie anzugehen: Deglobalisierung, Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demographie. Der Moderator des Abends, Dr. Florian Kech (IHK), stellte demnach die Behauptung des Freiburger Wirtschaftsprofessors Lars Feld in den Raum, dass die derzeitige wirtschaftliche Lage schlimmer sei als die Stimmung. „Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?“ Salomon: „Inzwischen passt sich die Stimmung der Lage an, und erst wenn die Stimmung so schlecht ist wie die Lage, sind Reformen überhaupt denkbar.“

Der Weg zu Reformen dürfte also immer wahrscheinlicher werden, denn auch die Konjunkturumfrage der IHK vom vergangenen Herbst zeigt eine deutliche Verschlechterung der Stimmung in den Unternehmen auf (wir berichteten). Die Unzufriedenheit der Betriebe am südlichen Oberrhein mit der Politik habe einen Höchstwert erreicht. 42 Prozent aller Befragten bestätigen demnach, dass sie in der Wirtschaftspolitik ein Risiko für das eigene Unternehmen sehen. Im Frühsommer 2023 habe der Wert noch bei 17 Prozent gelegen.

Mangelndes Vertrauen

Die Forderungen der Wirtschaft an die Politik sind also klar. Liebherr: „Die Unternehmen müssen entlastet werden, damit sie sich auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können. Wir brauchen kein Klein-Klein, sondern tiefgreifende Reformen.“ Das gelte vor allem beim Thema Entbürokratisierung. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo gehen 22 Prozent der Arbeitszeit in den Unternehmen für die Erfüllung bürokratischer Lasten drauf. „Ich halte diese Zahl tatsächlich für realistisch“, berichtete Liebherr aus seinem Unternehmeralltag. Den Titel des

Bürokratieweltmeisters findet der IHK-Präsident wenig schmeichelhaft. „Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen.“ Salomon, der als ehrenamtlich tätiger Vorsitzender des Normenkontrollrats von Baden-Württemberg gegen die überbordende Bürokratie im Land ankämpft, sendete die Botschaft aus, dass der Staat beziehungsweise der Gesetzgeber erst einmal seine Haltung gegenüber den Menschen ändern müsse, wie es weiter heißt. „Es braucht ein grundsätzliches Vertrauen gegenüber den Bürgern und der Wirtschaft, anstatt Regulierung und Kontrollwut. Wir sind zu langsam, wir sind zu kompliziert, mir müssen viele Dinge einfacher und manche auch gar nicht mehr machen. Die Zeit dafür ist reif. Das wäre ein Hoffnungsprogramm für die Wirtschaft.“

Doch völlig hoffnungslos scheint die wirtschaftliche Lage in Deutschland nicht zu sein, zumindest was die Grundvoraussetzungen für einen baldigen Aufschwung angeht. So ist laut dem Deutschen Startup-Verband die Zahl der Neugründungen von Unternehmen im Jahr 2024 um 11 Prozent auf 2.766 gestiegen. Auch das zur Verfügung gestellte Risikokapital für Startups hat sich um 4 Prozent auf 7,4 Milliarden Euro erhöht, wie KfW Research ermittelte. Den wirtschaftlichen Akteuren mangelt es also nicht an der Bereitschaft, in neue Ideen und Innovationen zu investieren und den Standort Deutschland voranzubringen. Für den nahenden Aufschwung fehlt nur noch ein Aufbruchsignal durch die Politik.

red/wh

Siehe auch:

IHK-Chef: Bürokratie ist eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort

Günstige Phase: Betreibergesellschaft für Startup-Zentrum StartkLahr gegründet

wvib: Unternehmen befürworten Nachhaltigkeit, aber fürchten die Bürokratie

Standortnachteile: Industrieller Mittelstand droht mit Abwanderung

Weitere Beiträge